IN DÜSSELDORF BOT DIE FDP EINEN EINDRUCKSVOLLEN ANBLICK. MEHR NICHT
: Glänzend inszenierte Luftnummer

Der Parteitag der FDP ist ein Meilenstein der Geschichte. In der Entwicklung der so genannten Mediendemokratie steht er für einen Quantensprung – ein neuer Stil der politischen Auseinandersetzung hat auf dieser Veranstaltung seine bislang schönste und klarste Form erreicht. Künftig werden alle, die sich mit der Frage der Politikvermittlung befassen, die neuen Maßstäbe berücksichtigen müssen, die in Düsseldorf gesetzt worden sind.

Diskussionen werden gerne umso leidenschaftlicher geführt, je belangloser ihr Gegenstand ist. Der Stellenwert eines Themas in der öffentlichen Auseinandersetzung muss dessen reale Bedeutung nicht widerspiegeln und erlaubt deshalb auch keine Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Das ist schon länger so.

Die neue Qualität des politischen Diskurses nach dem FDP-Parteitag besteht darin, dass ein Thema von jetzt an überhaupt keinen Bezug zur Realität mehr haben muss. Ja, eigentlich muss es nicht einmal mehr ein Thema geben, um die politischen Rituale des Meinungsstreits, des Machtkampfes und der Herrschaftssicherung zu zelebrieren. Es genügt völlig, dass sich die politische Klasse darauf verständigt, so tun zu wollen, als sei es anders. Der Kaiser ist nicht nackt, sondern eben doch in prächtige Gewänder gekleidet. Die Form ist alles, der Inhalt nichts.

Der neue FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hat mit seiner Grundsatzrede bis zum Schluss des Parteitags gewartet. Auch der politisch interessierten Öffentlichkeit bleiben von derartigen Veranstaltungen stets nur ein oder höchstens zwei symbolische Stichworte oder Ereignisse im Gedächtnis haften. Mannheim: Die Machtergreifung von Oskar Lafontaine. Magdeburg: Die Grünen wollen fünf Mark für den Liter Benzin. Düsseldorf: Guido Westerwelle steht für – ach, was. Düsseldorf: Die FDP will 18 Prozent.

Die Delegierten des Parteitages hätten sich auch dafür entscheiden können, auf dem Mars eine liberale Kolonie zu errichten. Dieses Ziel wäre ähnlich realistisch wie die Zuversicht, bei den nächsten Bundestagswahlen 18 Prozent der Stimmen bekommen zu können. Natürlich wird die FDP das nicht schaffen, und sie hätte auch dann nicht den nächsten Kanzler stellen dürfen, wenn sie einen Kandidaten für dieses Amt benannt hätte. War also dieser Parteitag lediglich eine höchst alberne Veranstaltung, auf der sich ein paar hundert Delegierte lächerlich gemacht haben? Keineswegs. Die Wirklichkeit verändert sich auch durch die Art und Weise, in der sie beschrieben wird.

Niemand weiß das besser als der geniale Wahlkämpfer Jürgen Möllemann, der das Projekt 18 erfunden hat. Wenn die Medien sich nur lange genug damit befassen, dann, so hofft er, hat die FDP in der öffentlichen Wahrnehmung den Kampf um den dritten Platz im Parteiengefüge schon gewonnen. Und da viele Leute bekanntlich gerne auf der Seite der Sieger stehen, haben die Liberalen gute Chancen, sich am Ende tatsächlich über ein recht ordentliches Wahlergebnis freuen zu dürfen.

Sind also die Medien wieder einmal an allem schuld? Wäre die Rückkehr zur sachlichen Auseinandersetzung ganz einfach, wenn sich die Journalisten einer so leicht durchschaubaren Form der Bauernfängerei verweigerten? Eine entsprechende Forderung ist ebenso nahe liegend wie verfehlt. Parteitage gehören zum Pflichtprogramm der Berichterstattung über die Institutionen des Parlamentarismus, und wenn eine Partei nichts anderes bietet als eine glänzend inszenierte Luftnummer, dann muss auch darüber berichtet werden. Alles andere wäre Zensur. Das letzte Wort hat die Öffentlichkeit: Sie kann die Verantwortung dafür, ob die Rechnung von Möllemann tatsächlich aufgeht, nicht auf andere abschieben.

Der Verlauf des Parteitags liefert hinreichend Anlass zu der Befürchtung, dass sie aufgehen wird. Die liberalen Individualisten boten einen eindrucksvollen Anblick, wie sie die einander entgegengesetzten Positionen von Möllemann und Westerwelle im Abstand von nur rund einer halben Stunde gleichermaßen frenetisch bejubelten. Es war nur folgerichtig, dass der Parteitag eine Aussprache über das vorher so heiß umstrittene Thema einer eigenen FDP-Kanzlerkandidatur für entbehrlich hielt. Wo Inhalte fehlen, lassen sich Gefühle umso leichter entfesseln. Die sind bekanntlich schnell wandelbar – und es lässt sich über sie auch nur schwer diskutieren. BETTINA GAUS