Geniale junge Hunde des Gitarrenrock

■ Das gar nicht teeniemäßige Seelenleben im Rücken, ein neues Album mit ungestüm-herzzerreißenden Songs im Programm: „Muse“ heute Abend in der Markthalle

Rockmusiker müssen ein bestimmtes Alter haben. Jedenfalls wird es stets kritisch in den Medien, sollten Erstgenannte den Spielraum zwischen 25 und 40 verlassen. Die Rolling Stones etwa sind viel zu alt, kaum ein Artikel dürfte ihre neuen Alben wahrgenommen haben, da stets der Hintergedanke herrschte: „Müssen sie nicht lieber aufhören?“ Nicht viel anders sieht es bei den Jungspunden unter den Rockern aus. Silverchairs Bulimie-Frontkind durfte sich stets anhören, sein Songwriting sei „gar nicht schlecht für das Alter“; Ähnliches gilt für die Brit-Überflieger JJ72 und die Teen-Posse Wheatus.

Bloß nicht für Muse, und das ist schon ein erstaunliches Phänomen. Da sind drei Jungs, die kaum die 20 überschritten haben und mit ihrem Debüt Showbiz eines der umjubeltsten Gitarren-Rock-Alben der letzten Jahre veröffentlicht haben. Diskussionen über ihr zartes Alter gab es nicht. Wieso auch? Nichts an den zwölf Songs dieses Werkes klang in irgendeiner Weise nach Teenie-Viva-Bravo-Charts. Und das ist gut so. Vielleicht liegt es an ihren Jugendjahren im traurigen südenglischen Nest Teignmouth, eine „Hölle“ der Langweile, wie sich Sänger und Gitarrist Matthew Bellamy gerne rückbli-ckend mokiert: „All unsere Freunde nahmen irgendwann Drogen oder machten Musik“.

Also machte auch Bellamy Musik, gemeinsam mit Chris Wolstenholme und Dominic Howard. Sie coverten Indie-Bands, während sich Kurt Cobain in den Kopf schoss, nannten sich Gothic Plague und klangen auch so. Dann hießen sie Fixed Penalty oder Rocket Baby Dolls. Ohne Erfolg. Sie schworen den Cover-Songs ab, schrieben selbst und spielten in leeren Clubs, während „unsere Freunde aufs College gingen und eine gesicherte Zukunft planten“.

Dann wurden sie zu Muse und wandten sich vom kometenhaften Erfolg des Britpop ab: „Oasis haben keine Passion“, nichts von dem, was Musik faszinierend macht, mäkelt Bellamy und nennt Nirvanas Nevermind und The Bends von Radiohead als prägende Alben. Der Erfolg von Muse ließ nicht lange auf sich warten, kam aber erstaunlicherweise erst in den USA: Sie verkauften zwei EPs – Muse und Muscle Museum –, spielten einen Showcase auf einem Pier in Santa Monica. Und waren plötzlich „heavy shit“.

Mit Lob wurde nicht gespart: „Ballroom-dancing punk-poets“ taufte sie der New Musical Express. Vergleiche werden bemüht: Wie eine Mischung aus Jeff Buckley, dem großen Songwriter, der in den Fluten des Mississippi verschwand, und den Nu-Metal-Freaks der Deftones sollen sie klingen. Soso.

Und nun ihr neues Album, nicht wirklich revolutionär im Vergleich mit dem Erstling. Und das soll kaum ein Vorwurf sein, denn ungestüm-herzenbrechend sind selbstverständlich auch ihre neuen Songs wieder, mit Leichtigkeit und ein wenig Pathos. Und wenn das live ebenso brachial-charmant rüberkommt wie ihr Auftritt beim letztjährigen Terremoto-Festival in Hamburg (das es übrigens in diesem Jahr nicht geben wird), wo Bellamy verkrümmt in einen Ventilator hineinsang, schrie und litt, dann gibt es keine Zweifel mehr. Dann bleiben Muse die vielleicht beste Band der „Buy-British“-Insel derzeit. Volker Peschel

mit Feeder: heute, 21 Uhr, Markthalle