Vergessen ist die Gefahr

Jahrestag der Befreiung: Alsterdorfer Anstalten gedenken Euthanasie-Opfern, Neonazis wollen lieber Soldaten ehren  ■ Von Elke Spanner und Peter Müller

Die Vorübergehenden sollen einen kleinen Schrecken bekommen. Wo sonst nur der Name sowie Geburts- und Todestag der Verstorbenen steht, prangt auf diesem Grabstein zudem die Inschrift: „Opfer der NS-Euthanasie“. Nicht an einer Gedenkstätte, sondern auf dem Bergedorfer Friedhof enthüllt die „Evangelische Stiftung Alsterdorf“ am heutigen 56. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus den Grabstein der von den Nationalsozialisten ermordeten Ursula Westphal.

Laut der GAL-Abgeordneten Dorothee Freudenberg ist es erste individuelle Grab eines wegen seiner Krankheit von den Nazis ermordeten Menschen. Westphal war als junge Frau an einer Psychose erkrankt. Sie lebte in Alsterdorf, von wo aus sie am 14. August 1943 zusammen mit weiteren 227 Frauen und Mädchen nach Wien in eine Tötungsanstalt deportiert wurde.

5489 behinderte oder psychisch kranke Menschen aus Hamburg wurden umgebracht, die meisten aus der psychiatrischen Anstalt in Langenhorn, dem heutigen Klinikum Ochsenzoll, die übrigen aus den Alsterdorfer Anstalten sowie den damaligen Wohlfahrtsanstalten, den heutigen Einrichtungen des Landesbetriebes „pflegen & wohnen“. Ihren Höhepunkt fand die Euthanasie nach der Bombardierung Hamburgs Ende Juli 1943: Um Heime und intakte Wohnungen für „arbeitsfähige“ Menschen nutzen zu können, deportierten die Nazis nun auch alte Menschen, die nach den Bombardements verwirrt durch die Straßen irrten.

Der Euthanasie-Opfer gedenken die Alsterdorfer Anstalten zudem bei der Veranstaltung „Nicht die Erinnerung, sondern das Vergessen ist die Gefahr“, um 17 Uhr in der Bugenhagen-Schule, Alsterdorfer Straße 506. Auf die aktuelle Bedeutung des NS-Gedenkens weist auch die Juso-Hochschulgruppe hin: Sie lädt um 18.30 Uhr zur Podiumsdiskussion zu Zahlungen an die letzten Zwangsarbeiter ins Hauptgebäude der Uni, Agathe-Lasch-Hörsaal. In Bramfeld demonstrieren SchülerInnen „für mehr Toleranz“.

In Schleswig-Holstein eröffnet der „Trägerverein Gedenkstätte Ahrensbök“ eine Gedenkstätte im einzigen damaligen Konzentrationslager, dessen Gebäude heute noch erhalten ist. Von Oktober bis Dezember 1933 waren in Ahrensbök rund 300 politische GegnerInnen der Nazis inhaftiert.

Allerdings wollen auch Neonazis den Gedenktag in ihrem Sinne nutzen und als „Tag der Ehre“ der deutschen Soldaten begehen. Auf einem Flugblatt fordert das „Aktionsbüro Norddeutschland“: „Reinigt auch bei Euch die Ehrenmäle“ – neben einem Foto des Kriegsklotzes am Dammtor. Der Polizei liegt keine Anmeldung vor. Aber „wenn die offiziell nur Putzen wollen“, so Sprecher Hans-Jürgen Petersen, „brauchen sie keine Anmeldung“.