village voice
: „Music Is A Hungry Ghost“ von To Rococo Rot

Der Klang, die Kunst, das Leben

Zwei Jahre haben To Rococo Rot getüftelt an ihrer neuen Platte „Music Is A Hungry Ghost“. Eine lange Zeit in einem Genre wie der elektronischen Musik, in dem die Tracks sonst schneller rausgehauen werden als man „Sorry, ich kann nicht tanzen“ sagen kann.

Für ihr viertes Langspielwerk hat sich die Combo aus den Berliner Brüdern Robert und Ronald Lippok und dem Düsseldorfer Stefan Schneider verstärkt: Zwischenzeitlich wurde mit dem New Yorker DJ und Produzenten Craig Willingham alias I-Sound gejammt, bei zwei Stücken spielt der renommierte Violinist Alexander Balanescu mit – ein Ausdruck der Wertschätzung, den das Trio international als Aushängeschild der Berliner Electronica genießt.

Irgendwo zwischen personeller Erweiterung und langwierigem Arbeitsprozess ist To Rococo Rot nun der Song verloren gegangen. Auf ihren älteren Platten war das Referenzsystem Pop – wenn auch abstrakt verschlüsselt – immer noch deutlich zu hören, waren Songstrukturen meist nachzuvollziehen.

Auf „Music Is A Hungry Ghost“ aber scheint sich alles nur mehr aus dem Sound selbst zu entwickeln. Als würden die Klänge ein Eigenleben entwickeln, verändern sie sich stetig, ohne Rücksicht auf ihre Kollegen zu nehmen, die selbst beständig mutieren. In den besten Momenten funktioniert die Musik von To Rococo Rot wie guter Dub: Klang ist Klang, Rhythmus nur noch eine Ahnung, Melodien ein Gerücht.

Manches Stück hat zwar durchaus noch entfernt Songcharakter, „How We Never Went to Bed“ hat sogar einen flotten Beat. Viele Tracks aber kennen überhaupt kein Ende und keinen Anfang mehr, als könnte man sie wie den Namen der Band ebenso gut rückwärts lesen, um zum gleichen Ergebnis zu gelangen. Die einzige Spannung, die die Musik dann noch zulässt, entsteht durch den beständigen Versuch, tradierte Vorstellungen von musikalischen Strukturen, das Denken in Kategorien wie Lied oder Song zu vermeiden: Das Stück „Mazda in the Mist“ besteht aus atmosphärischem Knistern, das zwar unregelmäßig moduliert wird, aber Struktur erhält allein durch zwei sehr abstrakt klingende Töne, die beständig wiederkehren. Das folgende „She Tended to Forget“ hat als Grundlage eine kleine, monotone Melodie, wie sie einem beim Summen auf die Lippen fällt, während darüber ein Hallen und Knacksen wie von selbst geschieht. Wenn sich die Melodie schließlich ins Nichts auflöst, verabschiedet sich auch wieder einmal die Idee Song.

Diese Unentschiedenheit hört sich allerdings so entspannt an, dass „Music Is A Hungry Ghost“ problemlos als intelligente Soundtapete dienen könnte. Diese Musik kann in ihrer sich sanft transformierenden Beschaulichkeit aber auch durchaus stehen für die Vergänglichkeit des Klangs, der Kunst, des Lebens. Eine große Aufgabe für ein paar elektronisch erzeugte Miniaturen. Aber wer, wenn nicht To Rococo Rot sollte in der Lage sein, sie zu meistern? THOMAS WINKLER

To Rococo Rot and I-Sound: „Music IsA Hungry Ghost“ (City Slang/ Labels/Virgin); live am 18. 5. im Lambada-saal, Chauseestr.37–42, Mitte