Dicker Fisch an der Spree

In Berlin entsteht der drittgrößte Stromkonzern in Deutschland. Er könnte bereits 2002 am Markt sein. Der Senat rechnet sich das als Erfolg seiner Privatisierungspolitik an

Glückliche Gesichter im traditionell muffligen Berlin zu sehen, ist selten – sogar im Mai. Doch gestern strahlten zwei Politiker, die normalerweise in der klammen und wirtschaftsschwachen Bundeshauptstadt wenig zu lachen haben: Finanzsenator Peter Kurth und Wirtschaftsenator Wolfgang Branoner (beide CDU).

Ihr Erfolg hat einen spröden Namen: „vierte Kraft“. Wenigstens so lange, bis sich eine Werbefirma einen Namen für den vierten großen Stromkonzern ausgedacht hat, der jetzt in Deutschland gebildet wird. Ihr Erfolg: Am neuen Unternehmen ist nicht nur der Berliner Stromversorger Bewag mitbeteiligt, das größte ostdeutsche Industrieunternehmen wird auch seinen Hauptsitz in Berlin nehmen.

In Hamburg hat das zu einiger Verärgerung geführt, denn an dem nach Eon und RWE drittgrößten Stromkonzern in Deutschland sind auch die Hamburgischen Electrizitätswerke (HEW) beteiligt. Gern hätte man in der Hansestadt – die freilich gerade mit der Akquise der Airbusproduktion einen der größten Fische der Industriegeschichte geangelt hat – auch die Geschicke des neuen Stromkonzerns gelenkt. Sogar Gerüchte, die Berliner hätten Manager mit Villen gelockt, machten die Runde. „Da ist nichts dran“, meinte Wirtschaftsenator Branoner gestern. „Wir haben gar keine Villen mehr.“

Das kann man auch in Blankenese getrost glauben. Denn Berlin hat in den letzten Jahren so ziemlich alles verscherbelt, was sich zu Geld machen ließ: Wasserbetriebe, Gaswerke, Wohnungsgesellschaften – und die Bewag. Dass dieser Schritt richtig war, zeige sich nun, so Finanzsenator Kurth. Nur durch die Privatisierung sei die Bewag attraktiv geworden. Die Beschäftigten des Energiekonzerns haben dafür jedoch geblutet: Mehrere tausend Jobs wurden innerhalb kürzester Zeit abgebaut, aus dem einst stolzen Westberliner Unternehmen wurde ein kleiner, aber feiner Fisch im Wildwasser des Wettbewerbs.

Der Kaufpreis in Höhe von mehr als 2 Milliarden Mark hat dabei nicht einmal die entscheidende Rolle gespielt, wichtiger war die Einbindung strategischer Partner: in diesem Fall des US-Stromkonzerns Mirant (vormals Southern). Offenbar hat man damit auch Lehren aus der leidvollen Privatisierungsgeschichte in der Ex-DDR gezogen. Denn Mirant hat, übrigens ebenso wie der schwedische Konzern Vattenfall, der die HEW übernommen hat, ein eigenes strategisches Interesse auf dem (ost-) deutschen Strommarkt. Im Unterschied zu den Konzernen aus den alten Ländern, die den Osten lediglich als Absatzmarkt interessant finden, die Konkurrenz abwickelnd.

Alle Befürchtungen sind indes in Berlin nicht ausgeräumt. Schließlich produzieren hier relativ umweltfreundliche Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) relativ teuren Strom. Sollte die staatliche Subventionierung scheitern, dürften einige Berliner Anlagen vom Netz gehen. Denn innerhalb des neuen Stromkonzerns soll es einen Kostenwettbewerb geben. Dabei hätte KWK-Strom gegenüber Braunkohle- oder Atomstrom keine Chance.

Um die „vierte Kraft“ ist zuvor seit mehr als einem halben Jahr erbittert gekämpft worden. Die beteiligten Firmen und der Berliner Senat, der ein Ausbluten der Bewag befürchtete, überzogen sich gegenseitig mit einstweiligen Verfügungen. Jetzt sei ein Siebtel des Weges geschafft, sagt Branoner. Der neue Konzern, gebildet aus Bewag, HEW, Veag und Laubag, könne bereits im nächsten Jahr am Markt sein. Mit Sicherheit hat der Konzern dann auch schon einen Namen, vielleicht kreiert von einer Hamburger Werbeagentur. Dann gibt es auch in der trüben Elbmetropole glückliche Gesichter – ein paar zumindest. RICHARD ROTHER