PDS-Spitze links überholt

Ist links da, wo links ist? Oder wo vorn ist? Eine Gruppe selbst ernannter Parteilinker legt ein eigenes Gegenpapier zu Gabi Zimmers Entwurf für ein neues Parteiprogramm vor

BERLIN taz ■ Man muss wahrscheinlich ein ganz besonderer Linker sein, wenn man sich in einer linken Partei als Parteilinker versteht und dann noch behauptet, in der Mitte der Partei zu stehen. Dieses rhetorische und gleichzeitig politische Kunststück vollbrachten gestern fünf Genossen der PDS – Vertreter der Kommunistischen Plattform Hamburgs, des Marxistischen Forums Sachsens sowie der dogmatischen Westlinken. Das Kunststück war dazu da, die „Parteilinken“ nicht als durchgeknallte Weltrevolutionäre erscheinen zu lassen, die glauben, die Welt richte sich allein nach ihren Vorstellungen. Auf diese Weise wollten sie ihrem Anliegen besondere Seriosität verleihen.

Die fünf weithin unbekannten Genossen präsentierten in Berlin einen alternativen Programmentwurf. Sie verstehen ihn als direktes Gegenpapier zu dem von der PDS-Vorsitzenden Gabi Zimmer Ende April vorgelegten Entwurf für ein neues Parteiprogramm. In ihrem Papier bekennen sich die Autoren, unter ihnen der Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf, zum bisherigen PDS-Programm von 1993, in dem die Partei die „Umwälzung der herrschenden kapitalistischen Produktions- und Lebensweise“ fordert.

Bei der Vorstellung ihres Programmentwurfs fackelten die „Parteilinken“ nicht lange. Sie sagten sofort, worum es ihnen gehe: um die Verhinderung eines Programms nach den Vorstellungen der reformorientierten Parteispitze. Deren Entwurf bezeichneten sie als „Vorbereitung einer weit reichenden Rechtswende“. In ihm fehlten eine präzise Analyse des Kapitalismus ebenso wie die Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft. Das Musterbeispiel für präzise Analyse lieferte Wolf gleich selbst. Die Welt würde „von zwei Gangsterbanden beherrscht“, sagte er, den USA und der EU. Wo die Parteireformer um Gabi Zimmer in ihrem Papier die kapitalistische Welt differenziert beschreiben – da sehen die „Parteilinken“ eine Gesellschaft, die allein von destruktiven Kräften geprägt sei. Wo die Reformer das Scheitern des Staatssozialismus konstatieren – da empfinden die „Linken“ diese Analyse als „Totaldistanzierung“. Ihnen mache der sozialistische Versuch in der DDR Mut, an die heutige Gesellschaft sozialistische Maßstäbe anzulegen.

Der Gegenentwurf für das Grundsatzprogramm war am Wochenende auf einem Treffen der „Parteilinken“ in Leipzig diskutiert worden. Als ein Ergebnis dieses Treffens ist eine 21-köpfige Programmgruppe gewählt worden, der auch Vertreter der Kommunistischen Plattform und des Marxistischen Forums angehören. Diese beiden Gruppen unterstützen den Gegenentwurf bislang aber nicht offiziell.

Die „Parteilinken“ sind sich jedoch sicher, mit ihrem Papier eine breite Mehrheit der PDS hinter sich bringen zu können. Das muss man abwarten. Die Kommunisten und Marxisten leiden zwar erkennbar an Schwindsucht, aber viele der vor allem älteren Parteimitglieder leben immer noch in deren Gedankenwelt. Gleichzeitig sind die Genossen Disziplin gewohnt – sie stimmen oft so, wie ihre Parteiführung das wünscht.

Auf jeden Fall spitzt sich der Streit um das künftige Grundsatzprogramm der PDS jetzt zu. Deswegen war Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch gestern um demonstrative Gelassenheit bemüht. Er bezeichnete den Gegenentwurf als legitimen Beitrag zur Programmdebatte. Bewerten wollte er ihn nicht. Nur dass sich die Kritiker „Parteilinke“ nennen, das störte ihn dann doch. Das würde ja bedeuten, dass es auch eine Parteirechte gebe, meinte er. Die PDS sei aber immer links, sagte Bartsch, und wartete dann mit einer weiteren typisch linken Links-Definition auf: „Links ist da, wo vorn ist.“

JENS KÖNIG