Angestellte vor dem Fenster

Branchenverzeichnis des Neoliberalismus: Unter dem Titel „Voll Durch“ zeigt Aribert von Ostrowski Collagen und Objekte im Künstlerhaus Bethanien – und fragt nach der Bedeutung künstlerischer Arbeit im Zeitalter ökonomischer Flexibilisierung

von HARALD FRICKE

Die einen zeichnen Aktien, die anderen auf Papier. Für Aribert von Ostrowski gibt es da allerdings weit reichendere Verbindungen als das Spiel mit Werten, die man sonst nicht so offenkundig zusammenbringt. Für die Kunst stellt das Wohlergehen der Ökonomie einen schlichten Überlebensfaktor dar: Ohne Verkäufe keine Autonomie. Mit dieser Marktabhängigkeit stecken die Künstler in einem ähnlichen Double Bind wie all die kleinen Angestellten, von denen Heinz Schütz in Ostrowskis Katalog schreibt: „Als Angestellter ist der Kleinaktionär an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes interessiert, als Spekulant gewinnt er, wenn sein Arbeitsplatz im Rahmen des Re-Engineerings wegrationalisiert wird.“ Die entsprechende Frage bei Ostrowski lautet: Was bedeutet künstlerische Arbeit in Zeiten von Flexibilisierung?

Zunächst sieht man in seiner Ausstellung „Voll Durch“ im Künstlerhaus Bethanien eine gewaltige Welle, die von einer Zeitungsvorlage auf Plakatwandformat hochkopiert wurde. Blatt für Blatt fügt sich das Bild nach Art einer Rasteraufnahme zusammen. Im Nebenflügel hängt noch eine weitere Vergrößerung, diesmal sieht man einen Mann, der kopflos zum Sprint auf einer überdimensionalen Tastatur ansetzt. Und auch im oberen Stockwerk taucht der Run am Computer wieder auf – spröde Schwarzweißbilder einer Welt, in der man selbst im Büro um Arbeitsplätze kämpft wie Athleten bei der Olympiade um Medaillen.

Seit drei Jahren hat der eben erst von München nach Berlin übergesiedelte Ostrowski die unterschiedlichen Motive aus Annoncen gesammelt, ausgeschnitten und collagiert. Die Images variieren die Dynamik der Märkte: Auf einer Seite aus den Stellenangeboten der SZ vom März 2001 etwa wirbt ein gelehriger Grundschüler für „Siemens Financial Services“, weil gute Ausbildung und Jugendlichkeit offenbar ideale Voraussetzungen für eine Karriere sind. Doch der dazugehörige Text ist von Ostrowski mit einem orange eingefärbten Karteikärtchen überklebt worden, dass mit „Mädchen vor dem Fenster, 1942“ den Titel eines Matisse-Gemäldes zitiert. Der Eingriff ist ein Kommentar auf die eigenen Produktionsbedingungen, in denen der Grad zwischen engagiertem und dekorativem Künstler schmal geworden ist. Immerhin gehören Kunst-am-Bau-Projekte vom Arbeitsamt in München bis zum Sat.1-Media-Center in Berlin-Mitte für Ostrowski zur täglichen künstlerischen Praxis. Dieser Widerspruch steckt tief in allen Arbeiten, auch in den Zeichnungen und provisorischen Holzcontainern, die zusätzlich in loser Folge arrangiert wurden.Für eine bloße Anklage der unternehmerischen Machtverhältnisse ist der Konflikt jedoch zu raffiniert inszeniert. Denn die Freiräume der Kunst sind – ganz konkret – im Material begründet. Überall liegen die Brüche zwischen Wunsch und Realität offen, überall laufen die Zeichen ihrer ursprünglichen Bezeichnung davon. Was als Werbung der Konzerne gut im Zeitungskontext platziert war, erscheint jetzt wie ein zerfleddertes Portrait klischeehafter Firmenphilosophien, die am Ende immer nur das eine zu propagieren scheinen: Fitness im Konkurrenzkapitalismus.

Diesem Appell an die Fitness ordnet sich auch die Bildsprache unter, die Ostrowski analysiert. Die Hierarchien sind den Motiven bereits ikonografisch eingeschrieben, werden aber erst in der Übersetzung durch den Künstler sichtbar. Das ist die Aufgabe der Collagen: Was immer in den Zusammenhang geschmissen wird, schafft neue Bezüge, die der Intention des Stellenmarktes zuwiderlaufen. Dabei ist selbst die Blow-up-Technik nur ein Larger-than-Life-Effekt, der sich aus der „Vervielfältigung“ (Ostrowski) ergibt.

Dass man sich die marktförmig gewordenen Zeichen wieder aneignen muss, gehört zum Programm von Ostrowski. Manchmal blinzelt dieser Eigensinn auch in den Zeichnungen hervor. Dann ergibt sich aus lauter kleinen Aquarellstudien ein Verweissystem zur Vogelkunde – feine Unterschiede zur Firmensymbolik inklusive. Das Huhn legt zumindest bei Ostrowski keine goldenen Eier, und der Adler ist anders als in der Werbung von BMW auch nur ein vom Aussterben bedrohtes Tier.

Bis 27. Mai, Mi–So 14–19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2. Der Katalog, 160 Seiten, kostet 38 Mark.