„Wir im Schatten des Doms“

Kunst im Rheinland nach dem Hauptstadtumzug: Kasper König, Direktor des Museum Ludwig in Köln, über föderale Kultur, regionale Kunsttradition und Guggenheim als Krake der Globalisierung

Interview HARALD FRICKE

taz: Herr König, von Frankfurt nach Berlin braucht der ICE-Sprinter dreieinhalb Stunden, von Köln dauert es per Bahn noch länger – praktisch sind Sie durch Ihren Umzug von der Städel-Kunsthochschule ans Museum Ludwig sogar eine Stunde weiter vom Hauptstadtzauber abgerückt.

Kasper König: Dafür sind wir hier Brüssel, Amsterdam und Paris sehr viel näher. Und in spätestens zwei Jahren soll es auch nur noch eine Stunde dauern von Köln nach Frankfurt (lacht).

Das ist eine derzeit ungewöhnliche Route. Sehen Sie sich mit Ihrem Direktorposten am Museum Ludwig als Gegengewicht zum neuen Zentralismus von Berlin?

Meine Entscheidung richtet sich nicht gegen Berlin. Im Rheinland hat es sehr lange gedauert, bis auch die Politiker gemerkt haben, dass man etwas tun muss, bevor die kulturelle Landschaft in einer Region für über 12 Millionen Bewohner den Bach hinuntergeht. In Düsseldorf wird jetzt bald der Kunstpalast eröffnet, dann gibt es dort auch noch die Dependance der Sammlung Nordrhein-Westfalen. Was in Köln überwunden werden musste, das ist der Traum, aktuelle Kunst über die entsprechende ansässige Szene zu definieren. So war das vor 15 Jahren.

Und jetzt wird das Museum Ludwig in Köln wieder Speerspitze des Föderalismus?

Ja, ganz klar, damit bin ich schließlich aufgewachsen. Nur ist es nicht zwangsläufig ein Hauptstadtsyndrom, wenn man in Berlin arbeitet. Gott sei Dank ist die Sache nicht so simpel.

In Frankfurt waren Sie Direktor am Portikus und Rektor der Städel-Kunsthochschule. Dort haben Sie Ihre Arbeitsstelle als Produktionsstätte verstanden, die Ausstellungshalle Portikus galt für Sie als „Bibliothek oder Archiv“ – wieso nun der Wechsel vom Macher zum Bibliothekar?

Das ist vielleicht auch altersbedingt. Ich habe mich in Köln nicht beworben. Es war vielmehr die angenehme Situation, gefragt zu werden und dann zu sagen: Ja, unter den und den Bedingungen könnte ich mir das vorstellen. Das habe ich auf etwa dreieinhalb Seiten aufgeschrieben, und so ist es dann auch geworden. Wir sind jetzt an einem ganz entscheidenden Zeitpunkt zu fragen: Was ist ein Museum? Wie sieht es aus in der Zukunft? Da gibt es einmal das Guggenheim-Phänomen, was wirklich eine multinationale Krake ist, die bereits Informationen vermarktet, das führt zu Monopolisierung. Uns geht es um Autonomie, darum, so weit wie möglich selbstständig zu sein, ohne privatisieren zu müssen.

Der letzte Stand war: eine Million Mark für Ankauf und eine halbe Million für den Ausstellungsetat.

Eine Million kommt von der Stadt, eine Million von der Stiftung Ludwig und eine Million besorge ich selber. Aber die Kosten sind ja nicht nur in zwei Richtungen berechnet. Mitunter geht es nur darum, die Sorgfalt am Gegenstand auch restauratorisch wieder herzustellen, Dinge angemessen zu pflegen. Wenn eine Skulptur von Donald Judd an der Oberfläche betatscht und unansehnlich geworden ist, dann kostet die Herrichtung ganz schnell mal 10.000 Mark.

Bleiben wir bei den Ankäufen: Was fehlt denn in einer Stadt wie Köln, wo mit der Sammlung Ludwig eine sehr prominente Sammlung von Pop-Art untergebracht ist und mit der Sammlung Haubrich auch noch eine wertvolle Expressionismussammlung existiert?

Hier gibt es zwar sehr viel, aber irgendwann ist der Faden gerissen. Deswegen treten wir im November mit einer Ausstellung zum „Museum unserer Wünsche“ an – das ist durchaus pragmatisch. Dabei analysieren wir die Sammlung, die schon da ist, um neue Schwerpunkte auszubauen. Wir wollen ein besonderes Museum mit einem eigenständigen Profil. Dazu gehört nicht nur alles, was gut und teuer ist aus den Sechzigerjahren, also Pop-Art und Nouveau Realisme, das ist ja im Haus gut vertreten und heute unerschwinglich. Gleichzeitig gibt es aber eine ganze Reihe von Positionen, die wichtig sind, aber damals auf dem Kunstmarkt keine Rolle spielten – das reicht von Robert Filliou und George Brecht zu Bob Watts oder Hans Peter Feldmann. Damit könnte man das, was da ist, noch komplexer machen. Oder nehmen Sie die Kölner Progressiven, Hörle, Seiwert, alles um August Sander, auch Otto Freundlich gehört dazu, die in den 20er-Jahren da waren und wegen ihrer progressiven Einstellung in der Weimarer Zeit in lokale Kontexte abgedrängt wurden. Das wäre ein anderer Schwerpunkt, den man ausbauen könnte und müsste. Oder, ganz aktuell, eine Serie mit Zeichnungen von Tomas Schmit, die er erst vor einem Jahr hergestellt hat: Schmit ist in Köln geboren, hat hier studiert, besitzt eine Nähe zum Fluxus, war aber im Museum Ludwig nie präsent. Da gäbe es historisch eine Anbindung und seine Arbeit besitzt trotzdem Aktualität.

Das heißt: den lokalen Rahmen aufpeppen, statt über den Pop-Art-Import zu staunen?

Es sind vor allem ästhetische Kriterien und intellektuelle Positionen, um die es hier geht. Außerdem halte ich es für wichtig, sich mit der visuellen und kulturellen Nachbarschaft zu Belgien oder Holland auseinander zu setzen. Und dann haben wir uns hier entschieden, das ganze Gebäude zu präsentieren und jene Werke, von denen wir hoffen, dass sie in Köln bleiben können, darin hervorzuheben. Es soll allerdings keine Ausstellung für Spezialisten sein, es soll auch nichts beschönigt werden, wir sind nicht das Museum of Modern Art oder das Centre Pompidou. Nehmen Sie die Sammlung Haubrich. Er war ein Anwalt in Köln und eine sehr engagierte Figur, er hat während der Nazizeit auch noch heimlich gesammelt. Nun heißt das Museum zwar zu Recht Museum Ludwig dank der Stiftung, es ist aber kein Ludwig-Museum, sondern ein städtisches Museum. Zudem gibt es die räumliche Konstellation, mit der wir uns die letzten Monate beschäftigt haben: einerseits die unmittelbare Nähe zum Hauptbahnhof, dann der Dom mit täglich 28.000 Besuchern. Wir liegen im Schatten des Doms, das war früher sehr präsent und ist in Vergessenheit geraten.

Glauben Sie, dass man das Haus sowohl intellektuell stärken als auch für ein breiteres Publikum zugänglich machen kann?

Es sind zwei Extreme, die hier hart aufeinander stoßen – natürlich ist unser Programm auch populär und konsumorientiert, wobei der Besucher nicht bevormundet werden soll. Zugleich wollen wir nicht mehr der gläserne Safe für die Sammler sein: Wir werden also versuchen, die Wertschätzung gegenüber bestimmten Werken noch hervorzuheben, und uns von anderen Werken trennen. Damit zeigt sich auch, für was das Museum steht: Es gehört allen und keinem, weil es eine Verpflichtung den Inhalten gegenüber hat, die es präsentiert. Eigentlich geht es nur um die Besucher und um das, was gezeigt wird. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, verschwinden wir auch in gewisser Weise dahinter.

Natürlich steht eine Ausstellung wie die, die wir im November planen, aber auch in einem ganz bestimmten Zusammenhang mit anderen Museen, wie Bonn, Düsseldorf, Duisburg, bis hin in die Ausleger Krefeld, Mönchengladbach und so weiter. Da wird ein Versuch unternommen, sich als Region zu begreifen und zu sagen, welches Potenzial kommt hier zusammen, damit man daraus etwas schöpfen kann. In Nordrhein-Westfalen sind ja alle Museen lange vernachlässigt worden.

Sie meinen Nachhaltigkeit durch Events?

Und das hat mit Berlin gar nichts zu tun. Es gibt eben bestimmte Konzentrationen, für die es dann doch sinnvoll ist, die historische Bedeutung der Region zu betrachten. Wenn man dafür ein Bewusstsein schafft, dann bleibt die Bewegung von der Hauptstadt völlig unabhängig. Eher kann man die Situation im Rheinland mit den kalifornischen Museen vergleichen, die sich in der Region von San Francisco bis San Diego auch vernetzen müssen in ihrer total autonomisierten Vielfalt. Das geht nicht über Olympia oder Fußballweltmeisterschaft, es ist zugleich auch eine Analyse der Kultur, von Produktion und Rezeption.

Die neue Generation von Ausstellungsmachern steht für globales Mangement. Die Aktivitäten von Harald Szeemann und Ihnen dienten dafür als Vorbild. Fühlt man sich wohl mit dem Ruf eines Kunstmanagers?

Der Szeemann hat das ja praktisch erfunden. Ich war in puncto Management auch nur ein begnadeter Amateur, der das umgesetzt hat. Viel fataler ist doch, wenn die Museen in ihrem Bestand überall immer ähnlicher und austauschbar werden. Da gibt es diesen sehr schönen Aufsatz von Martin Warnke. Er sagt: Man kommt ins Museum, da ist ein Steinkreis, dann eine Halbkugel und dann noch ein sehr großes Tafelbild. Jeder Insider weiß, was gemeint ist, das spricht auch nicht gegen die Qualität der genannten bzw. nicht genannten Künstler. Es geht nur um die Konvention, wie das präsentiert wird: Vordergrund, Mitte, Hintergrund. Und weil das alles sehr große und schwere Dinger sind, wurden die nie bewegt. Deshalb kann es einem passieren, dass man in Stuttgart oder Berlin oder Hamburg immer wieder dem gleichen Kanon begegnet. Das hat nichts mit Globalisierung zu tun, sondern mit Bequemlichkeit.

Sie selbst haben die Festivalisierung zumindest mit der letzten „Skulptur.Projekte“-Ausstellung in Münster, vor allem aber auch mit der Kunstauswahl für die Expo 2000 vorangetrieben.

Es ist doch so: Man fühlt den Puls – und treibt die Entwicklung dann auf die Spitze. Ich halte das für besser, als sich passiv dem Wandel hinzugeben. Es gibt zum Beispiel hier im Haus ein ganz konkretes Projekt: Wir wollen in Angrenzung an das Foyer der Philharmonie, die in einem Flügel des Hauses untergebracht ist, den Raum für Videoarbeiten nutzen. Durchaus als Lounge, auch wenn es sich etwas modisch anhört. Es geht darum, die Besucher in der Pause, vor und nach dem Konzert mit visueller Kunst zu konfrontieren. Das aber widerspricht der bisherigen Konvention hier im Haus, bei solchen Begegnungen doch bitte den Original-Nolde oder -Kandinsky zu präsentieren und nicht Video. Aber das gibt es mittlerweile auch schon in Las Vegas, da kann man im Hotel einen Monet sehen. Bei uns ist es dagegen eine Frage der Vermittlung, wie man Leuten, die sich die Wiener Philharmoniker anhören, auch Kunstwahrnehmung nahe bringen kann. Das ist allerdings ein anderer Umgang mit Kunst als bei einem Museumshistoriker, der ganz aus einer kunstgeschichtlichen Laufbahn kommt.

Was ist der Grundstock des Museum Ludwig?

An Objekten sind es 2.800, dazu über 10.000 Fotografien und Druckgrafik. Mich erinnert das Ganze an ein nicht mehr sehr aktives Kaufhaus – die Ware in den Regalen ist da, aber der Austausch fehlt. Deshalb sollen alle Ausstellungen, die wir planen, aus der Sammlung hervorgehen oder Perspektiven zeigen, wohin diese Sammlung gehen könnte, dass man also Rechenschaft ablegt über seine Aktivitäten. Damit hängt auch die Frage zusammen: Was ist öffentlich am Museum? Da darf man sich als Institution nicht defensiv verhalten.

Wie weit gehört das Zusammenspiel mit der Wirtschaft als privater Geldgeber mit einer solchen Bewegung zusammen?

Die Spielregeln müssen für alle Beteiligten klar sein. Bei einem Haus von unserer Größe wäre es angebracht, eine Stiftung mit einem demokratisch gewählten und legitimierten Aufsichtsrat zu gründen. Nur so kann man Sponsoren auch auf ihre Aufgaben verpflichten, sonst ist irgendwann die Kunst nicht mehr attraktiv für das Image und dann wird die Förderung eben auf Sport verlagert. Hier in Köln gibt es den Fall, dass die Kunsthochschule für Medien auf Wunsch der Landesregierung nach Ossendorf in die Pampa geschickt werden soll, weil dort ein neues Gelände für Fernsehproduktionsgesellschaften erschlossen wird. Für eine Hochschule ist der Standort völlig abwegig. Also habe ich gesagt: Selbstverständlich stelle ich gerne das Museum zur Verfügung, damit hier eine Pressekonferenz stattfinden kann, auf der die Betroffenen erklären können, warum sie sich nicht dermaßen bervormunden lassen. Dafür muss ein Museum auch als Forum dienen können.

Und was müsste passieren, damit Sie doch nach Berlin übersiedeln?

Die Frage stellt sich für mich nicht. Ich bin hier erst mal die nächsten sieben, acht Jahre im Geschirr.