Nachspiel für die WM-Hooligans von Lens

Der 27-jährige Deutsche Markus Warnecke, der den französischen Gendarmen Daniel Nivel vor drei Jahren brutal zusammengeschlagen und dann weiteren Schlägern ausgeliefert haben soll, steht ab heute in Frankreich vor Gericht

PARIS taz ■ Der Gendarm, der am 21. Juni 1998 im nordfranzösischen Städtchen Lens bewusstlos in einer Blutlache lag, überlebte nur knapp. Drei Jahre nachdem ihn deutsche Hooligans mit Eisenstangen, Holzbrettern, Tritten und Schlägen in Brust und Schädel traktierten, kann Daniel Nivel zwar wieder allein essen und auch einige Schritte ohne fremde Hilfe tun. Aber er hat ein Auge verloren sowie einen großen Teil seines Gedächtnisses, und seine rechte Körperhälfte wird er nie mehr so kontrollieren wie früher.

Ab heute wird der 46-Jährige als Nebenkläger dem Prozess gegen jenen Mann beiwohnen, der in Frankreich als Hauptverantwortlicher für den brutalen Angriff auf dem Höhepunkt der Fußballweltmeisterschaft gilt. Markus Warnecke soll der Hooligan sein, der den Gendarmen mit einem Holzbrett zu Fall brachte und ihn dort weiter mit Fußtritten traktierte. Die Anklage gegen ihn lautet: „vorsätzliche Gewalt gegen ein französisches Militärmitglied, die zu dauerhafter Gebrechlichkeit führte“. Denn in Frankreich sind Gendarmen wie Nivel, der während seiner sechswöchigen Bewusstlosigkeit befördert wurde, Militärangehörige. Im Falle einer Verurteilung durch das Schwurgericht in der nordfranzösischen Stadt Saint Omer drohen Warnecke bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Bis zur Tat war der 27-jährige Warnecke Inhaber eines Tätowierladens in Hannover. In Deutschland war er vor 1998 bereits mehrfach wegen Gewalttätigkeit vorbestraft. In Frankreich kannte ihn niemand. Seit Juni 1998 sitzt der bullige Mann nun in einem Gefängnis in Nordfrankreich. Seine Beteiligung an dem Angriff auf den Gendarmen hat er stets geleugnet. Bloß gegenüber einem Mithäftling soll er geprahlt haben, er habe Nivel „fertig“ gemacht. Gegenüber dem Untersuchungsrichter freilich hat Warnecke das stets bestritten. Der Angeklagte, der mit zwei Promille Alkohol im Blut verhaftet wurde, gibt nur zu, in Lens „eine Sperre von drei Gendarmen durchbrochen“ zu haben. Zur eigentlichen Tatzeit will er in einer Bar gewesen sein.

Sein französischer Anwalt Bertrand Wambeke verteidigt Warnecke unter anderem mit dem Argument, das Konterfei des Hannoveraners sei nicht auf den Fotos zu sehen, die entfesselte Hooligans zeigen, die auf den am Boden liegenden Gendarmen eintreten und -schlagen. Demgegenüber argumentiert Nivels Anwalt Antoine Vaast (siehe nebenstehendes Interview), diese von einem österreichischen Hooligan aufgenommenen und in der Bild-Zeitung veröffentlichten Fotos seien erst in der letzten Phase des Angriffs auf das bereits bewusstlos am Boden liegende Opfer entstanden. Warnecke habe ihn zuvor zu Fall gebracht und dadurch erst die Voraussetzung für alle weitere Gewalt geschaffen: „Er hat eine sehr weit gehende Verantwortung.“

Die Geschworenen in Saint Omer haben zwei Wochen Zeit. Das Gericht hat rund 50 Zeugen geladen – Franzosen und Deutsche, Augenzeugen und Experten. Neben den beiden Kollegen Nivels, von denen einer ebenfalls von den Hooligans verletzt wurde, will das Gericht auch die Chefs des Polizeieinsatzes während der WM hören und fragen, ob es richtig war, angesichts von hunderten deutscher Hooligans, die aus Anlass des Spiels Deutschland gegen Jugoslawien in die 35.000-Einwohner-Stadt gekommen waren, drei Gendarmen allein in einer Nebenstraße zu lassen. Auch Hooligan-Experten und solche, die die damit verbundene rechtsextreme Szene kennen, sollen gehört werden. Aus Deutschland werden unter anderem zwei junge Männer als Zeugen anreisen, die bereits 1999 zusammen mit zwei anderen Hooligans in Essen wegen Beteiligung an der Gewalttat gegen den Gendarmen zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden.

Die Ermittlungen zu dem Angriff auf den Gendarmen Nivel liefen parallel in Deutschland und Frankreich. Zweimal reiste das Ehepaar Nivel auch zu dem Essener Prozess, wo für Nebenkläger keine Übersetzung vorgesehen war. Von morgen an kann der schwer behinderte Nivel zusammen mit seiner Frau Lorette und seinen beiden Söhnen den Prozess in seiner eigenen Sprache in unmittelbarer Nähe des Tatortes verfolgen. Schweigend. Die Fragen und Bemerkungen, die ihm als Nebenkläger zustehen, muss seine Frau für ihn stellen. Seit 1998 kann Nivel kaum noch sprechen. DOROTHEA HAHN