Die Terroristin Meinhof kommt nicht mehr vor

Die Veteranen reden lieber über die engagierte Journalistin – und jüngere Autoren ignorieren sie in ihren Büchern über die RAF gleich ganz

Der Bekenntnisdrang des Publikums: Das ist eines der vielen interessanten Dinge, die man bei einer Podiumsdiskussion mit Bettina Röhl, der Tochter Ulrike Meinhofs, erleben kann. So zum Beispiel vor elf Tagen auf dem taz-Kongress.

„Auch ich habe damals mit Ulrike auf einem Podium gesessen“: Auf einen solchen Satz stößt man schnell. Auch Meinhofs Konkret-Kolumnen sind noch ein Begriff. Wobei alsbald die dringende Frage an Frau Röhl folgt: „Zumindest ,Bambule‘ müssen Sie doch gut finden!“ Und wenn Bettina Röhl dann einfach den Kopf schüttelt, findet sich für einen Augenblick schieres Erstaunen im Gesicht der Fragestellerin. Mit vielem hat sie gerechnet bei Frau Röhl, aber mit so etwas dann doch nicht.

Die Veteranin auf dem Kongress steht sicher nicht alleine da. Auch 25 Jahre nach Ulrike Meinhofs Tod lässt sich das Hauptmodell, die Terroristin zu beschreiben, so zusammenfassen: Sie habe einerseits berechtigte Kritik an den bestehenden Verhältnissen geübt, sich andererseits aber in einen zunehmenden Radikalismus verirrt – beziehungsweise, sie sei in eine zunehmend ausweglose Position gedrängt worden.

Man rettet die politische Journalistin Ulrike Meinhof, indem man ihre weitere Karriere samt Folgen wegkappt. Was eine interessante Konsequenz hat: Spricht man über die Intellektuelle Ulrike Meinhof, kann man noch mit Aufmerksamkeit rechnen. Mit der Terroristin aber hat man seinen Frieden geschlossen.

Diese Sichtweise könnte sich gerade allgemein verfestigen. Der aktuelle Trend zur Neubeschäftigung mit dem Thema RAF in Literatur und Kunst geht über Ulrike Meinhof auffallend hinweg. Als der Maler Gerhard Richter vor dreizehn Jahren seinen berühmten Bilderzyklus „18. Oktober 1977“ präsentierte, war Ulrike Meinhof selbstverständlich noch dabei. In dem gerade erschienenen Roman „Das Rosenfest“ aber, in dem der 31-jährige Schriftsteller Leander Scholz die Geschichte der RAF von einem heutigen Standpunkt aus neu zu erfinden versucht, kommt sie nicht einmal mehr vor.

Leander Scholz interessiert sich nur für die Liebesgeschichte zwischen Gudrun Ensslin und Andreas Baader. Was man – egal, wie man das Buch sonst findet – vom textstrategischen Standpunkt her gut verstehen kann. Baader, der sich von Jugendbeinen an nach Kinovorbildern zum Outlaw stilisierte, und die Ensslin, die Terrorismus als Teil ihrer Selbstverwirklichung verstand, geben die zugkräftigeren Romanhelden her. Ulrike Meinhofs Selbstzweifel und die Kompliziertheiten ihres Lebenslaufes sind einfach nicht so sexy.

Leander Scholz’ Vorgehen sagt etwas über den historischen Ort, an dem wir uns im Verhältnis zur RAF befinden. Der Deutsche Herbst ist jetzt schlicht lang genug her für eine neue Unbefangenheit im Umgang mit dem Thema. Aber das „Rosenfest“ konnte noch nicht den Beweis antreten, dass diese neue Unbefangenheit keineswegs immer in eine pure Bonnie-und-Clyde-Nostalgie verfällt. Insofern bleibt eine Beschäftigung mit dem Thema Terrorismus, ohne sich an seinem gedanklichen Überbau abzuarbeiten, weiterhin leer. Für diesen Überbau stand sehr stark Ulrike Meinhof. Man sollte nicht vorschnell seinen Frieden mit ihr schließen.

DIRK KNIPPHALS