Filmstarts à la Carte
: Poetischer Horror

■ Ein berühmter Arzt doziert über die Schwierigkeiten der Gewebeverpflanzung beim Menschen. Seine bei einem Autounfall gräßlich verunstaltete Tochter ist aus einer Klinik verschwunden. Man findet eine Frauenleiche, deren verstümmeltes Gesicht Wundränder aufweist, die wie mit einem Skalpell geschnitten sind. Einen Ratekrimi veranstaltet Regisseur Georges Franju in „Les Yeux sans visage“ (Augen ohne Gesicht, 1960) nun wirklich nicht. Der ursprüngliche deutsche Kinotitel „Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff“ wird da sogar noch deutlicher - obwohl es im Film gar keinen Dr. Rasanoff gibt. Der Versuch, das Werk als Pulp-Horror zu verkaufen, dürfte seinerzeit allerdings fehlgeschlagen sein: Was Franju an der Geschichte des gar nicht so monströsen Professors Genessier (Pierre Brasseur) interessierte, der mit der Haut junger Frauen die Gesichtszüge seiner Tochter zu rekonstruieren versucht, war - trotz einer blutigen Operationsszene - nicht der billige Nervenkitzel. Narrativer Schwung ist den Filmen Franjus mehr als fremd - für den Regisseur lag das Geheimnis stets in jenen Einstellungen, in denen nichts passiert: Das Warten ruft die Angst hervor. Wie Franju nie müde wurde zu betonen, stand für ihn stets das Befremdliche im Alltäglichen im Mittelpunkt: Surrealismus als Form des Realismus. Zentrale Figur dieser permanenten Irritationen ist Christiane (Edith Scob), die Tochter, die in einem seltsamen weißen Hausmantel mit hochgeschlagenem Kragen das weitläufige Herrenhaus durchstreift und deren starre Gesichtsmaske ihre Gedanken natürlich nicht preisgibt. So kommt das grausame Ende doch recht unverhofft - ehe eine weiß gewandete Gestalt von weißen Tauben umflattert im nächtlichen Park verschwindet.

“Les Yeux sans visage“ (OF) 15.5. im Cinema Paris

■ Pflegte Georges Franju das Befremdliche im Alltäglichen, so gerät in Jack Arnolds „The Incrdible Shrinking Man“ (Die unglaubliche Geschichte des Mr. C., 1957) das Alltägliche zum Bedrohlichen. Von einer radioaktiven Wolke ausgelöst, beginnt für Scott Carey (Grant Williams) ein steter Schrum-pfungsprozess, dem nicht nur seine sozialen Kontakte und sein Eheleben nicht standhalten - auch die Hauskatze wird plötzlich zur reißenden Bestie und die kleine Spinne im Keller zur tödlichen Bedrohung. Neben den beeindruckenden Tricks besticht vor allem die Ernsthaftigkeit des Science-fiction-Klassikers: von der diffusen Atomangst (die in einer Zeit der Fortschrittsgläubigkeit sonst kaum ausgeprägt war) bis zum Schluß, an dem der zum Winzling gewordene Carey sich mit einem philosophischen Schlußmonolog in den (Mikro-) Kosmos verabschiedet.

“The Incredible Shrinking Man“ (OF) 11.5. im Arsenal 2

■ Eigentlich kennt man Robert Mitchum eher als ruhigen, ziemlich coolen Schauspieler. In „The Night of the Hunter“, Charles Laughtons einziger Regiearbeit, schuldet er seinen Erfolg als psychotischer Prediger jedoch vor allem seiner Beredsamkeit. So becirct er auch die Witwe (Shelley Winters) eines ehemaligen Zellengenossen, die ihn an das vom verblichenen Gatten versteckte Geld heranführen soll. Als dies nicht funktioniert, beginnt er, die beiden Kinder zu terrorisieren. Laughton gestaltete seinen Film als Albtraum voller schwarzer Poesie: Die Kinder flüchten geradewegs in eine bizarre Märchenlandschaft, verfolgt von dem durch seinen kraftvollen Gesang stets präsenten Mitchum auf einem Pferd. Auch Shelley Winters taucht in einer nahezu halluzinatorischen Szene noch einmal auf: als Wasserleiche, deren langes blondes Haar in der Strömung zu flattern scheint.

“Night of the Hunter“ (OmU) 15.5. im Blow Up 2

Lars Penning