Ein Beil im Wahn

Eine Frau versuchte nach 36 Ehejahren ihren Mann zu erschlagen. Sie hielt ihn für einen Mörder. Sachverständige sprechen von Wahnvorstellungen

Die Ehe zwischen Ursel und Werner B. kann man sich als ein langes Ringen um die Wahrheit vorstellen. Ein Leben, das zwischen Misstrauen, Ängsten und Beruhigungsversuchen pendelte. Oft halfen nur Tabletten ins Gleichgewicht. Oder dass man den anderen raushielt aus dem eigenen Gedankensystem. 36 Jahre dauerte diese Ehe. Doch im vergangenen November fühlte die 56-jährige Einzelhandelskauffrau Ursel B. plötzlich, dass es nicht ausreiche, sich nur von ihrem Mann zu trennen. Sie kaufte in einem Baumarkt ein kleines Beil. Einen Tag später versuchte sie damit ihren Mann auf der Straße zu töten. Die beiden waren gerade in Lichtenrade auf dem Weg zum Scheidungsanwalt.

Wie ein Vögelchen saß die zierliche Frau gestern auf der Anklagebank, als ihr nun am Landgericht der Prozess gemacht wurde. Ihre Augen blickten traurig. Den Angriff auf ihren Ehemann hat sie sofort gestanden. Werner B. hatte durch den Hieb eine Verletzung am Kopf erlitten.

Die medizinische Sachverständige sprach von einem „Wahngebäude“, das die Angeklagte errichtet habe. Im Zentrum dieses Wahns sei der Ehemann gestanden. Und so hat es auch Werner B. empfunden.

In den ersten Jahren sei die Ehe noch normal verlaufen, erzählte der 61-jährige Kaufmann bei der Zeugenvernahme. Doch nach der Geburt eines toten Kindes im Jahr 1966 habe seine Frau zunehmend Wahnvorstellungen entwickelt. Zunächst fühlte sie sich von einem Onkel verfolgt, dem sie „magische Kräfte“ zutraute. Später habe sie eine übersteigerte Angst vor Terroristen entwickelt. Und irgendwann habe sie auch ihn des Mordes verdächtigt, sagte B. Ein Phantombild in der Zeitung habe ihm angeblich ähnlich gesehen. So kam es, dass seine Frau die Stiefmütterchen wieder ausgrub, die er gerade im Garten eingepflanzt hatte. Weil sie darunter Leichen vermutete. Bei der Mordkommission habe sie ihn auch angezeigt. Überhaupt habe sie oft sehr abwesend gewirkt.

Ursel B. nickte gestern bei diesen Schilderungen ihres Mannes. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht, als sie selbst von den Ehejahren berichtete. Es habe auch schöne Zeiten gegeben, gab sie zu. Aber selbst das Haus mit Gartengrundstück, das sich die beiden gebaut hatten, sei ihr irgendwann wie ein „goldener Käfig“ erschienen. Ihr Mann mache sie verrückt. Die Messer im Haushalt habe er ihr immer mit der Klinge nach oben hingelegt. Oder eine Rasierklinge als Zeichen, sich doch umzubringen. Sie glaubte, er würde sie immer weiter verfolgen. Diese Vorstellung schien unüberwindbar. Erst durch die Idee, ihren Mann zu töten, habe sie sich „wie ein junger Gott“ gefühlt. Mit ernstem Gesicht war die Angeklagte aufgestanden, wie um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen.

Im Jahr 1966 war Ursel B. nach der Geburt ihres toten Kindes fünf Wochen in einer Nervenklinik untergebracht. Fast ihr gesamtes Leben hat sie Tabletten gegen Depressionen einnehmen müssen. Die Sachverständige empfahl gestern die Unterbringung in einer Klinik. Das Urteil lag bis Redaktionsschluss noch nicht vor. KIRSTEN KÜPPERS