Der Augenblick der Wahrheit

Meine Stirn auf Deiner Stirn, sah ich durch Deine Brille;lautlos floss, von Hirn zu Hirn, unsichtbar mein Wille:Öffentlich trägst du spaziern die reizendsten Gesichter.Lass mich an Dein verborgnes rührn: Wozu bin ich Dichter?

Du bewegst Dich nicht vom Fleck, also nehm ich sachteDir die Augengläser weg, dass ich Dich betrachte.Hier, an dem ich häng, den Mund kenn ich wie die Nase;dort behält des Kopfes Rund gleichvertraute Maße –

die ertastete ich blind, doch klopft, weiß ich mit eins, entschleiert sich ein schönes Kind, kein Sultansherz wie meins.Der mir jetzt ins Auge blickt, der gänzlich fremde Mann – wie mein Vorwitz sich erschrickt, fasst er mich schon an.

Zartgefühl, Du Manneszier, hüllst mich ruhig ein, Großmut spricht sogleich zu mir, ich sei nicht allein. Strömt das Wort voll Klang, voll Sinn reich zum Ohr herein, leis bläst sein Atem und leichthin das Leben selbst mir ein.

So entgeistert, so beseelt, zeuchst Du mich mithinmitten aus der Menschenwelt an ihren Anbeginn. Zugegeben lässt Magie mich billig hier im Stich, denn getrost verlass ich sie: Wozu hab ich Dich?

Silke Schirrmeister