CDU UND CSU PRÄSENTIEREN SICH ALS NEUE ZUWANDERUNGSPARTEIEN
: Harter Tobak für die eigene Klientel

Das Tempo, mit dem die Union sich von einstigen Grundsätzen in der Zuwanderungsfrage entfernt hat, ist gewaltig. Selbst die CSU, für die die Gefahr einer Partei rechts von ihr höher ist als für andere Parteien, hat sich der Realität fügen müssen. Weil derlei Lernprozesse aber vermittelt werden müssen und die Führungen beider Parteien sehr wohl wissen, was ihrer Basis und der Wählerschaft da zugemutet wird, bedarf es der sprachlichen Umwolkungen, um die Hinkehr zu neuen Einsichten nicht allzu radikal erscheinen zu lassen.

So erklärten denn gestern CSU-Chef Stoiber und CSU-Vorsitzende Merkel wie gehabt unisono, dass die Bundesrepublik kein „klassisches Einwanderungsland“ sei. „Klassisch“ im Sinne der USA und Australiens ist sie das sicherlich nicht – Deutschland ist eben ein Einwanderungsland mit spezifisch deutschen Voraussetzungen. Der Familiennachzug der türkischen Minderheit, die Freizügigkeit innerhalb der EU – nicht-deutsche Menschen sind entweder schon lange in der Bundesrepublik oder werden noch in größerer Zahl kommen. Daher sind „Steuerung und Begrenzung“ weitere rhetorische Begrifflichkeiten, mit denen CDU und CSU operieren, um sich die Gefolgschaft ihrer verunsicherten Klientel zu sichern.

Dabei stellt, aus der Nähe betrachtet, heute keine Partei im Bundestag mehr ernsthaft den Grundsatz in Frage, dass Zuwanderung in für die Gesellschaft zuträglichem Maße zu erfolgen hat. Eine Ausnahme bildet – noch – die PDS, von der manche Äußerungen ihres Spitzenpersonals erwarten lassen, dass sie eine ähnliche Wandlung durchmacht wie die Union. Nur geht das bei der PDS eben in umgekehrter Richtung: von links zur Mitte hin.

Das CDU/CSU-Positionspapier, das gestern in Berlin vorgestellt wurde, mag vielerlei Rücksichtnahmen enthalten. In der Summe aber bewegen sich CDU und CSU nicht nur einen Schritt, sondern gleich mehrere nach vorn. Das kann nur verkennen, wer in alten Gewissheiten verharrt. Die Union zumindest hat sich von einer verabschiedet, die unter Kohl noch galt: „Deutschland ist kein Einwanderungsland.“ SEVERIN WEILAND