dokumentation: zwei briefe, zwei ansichten

Wie war die Lage im Kosovo im März 1999, vor Kriegsbeginn?

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler bezieht sich in seiner Analyse zur Lage im Kosovo im März 1999 auf den OSZE-Bericht „Kosovo/Kosova As Seen, As Told“:

„Man erfährt nicht nur, dass es bereits Ende 1998 350.000 albanische Binnenflüchtlinge im Kosovo gab und auf welche Weise die serbischen Polizisten, Militärs und Paramilitärs ihre Vertreibung organisiert haben. Übrigens war exakt dies der Hintergrund für das militärische Ultimatum der Nato an Milošević vom Oktober 1998, mit dem konstitutiven Beschluss vom 16. 10. 1998 des Deutschen Bundestages, der letztlich zu Deutschlands Kriegsbeteiligung führte. Dort wird auch (im Kap. 14) mit der Falschbehauptung aufgeräumt, die Vertreibung der Albaner im großen Stil habe erst nach dem Kriegsbeginn am 24. 3. 1999 eingesetzt. Sowieso hatten, neben den über 300.000 Binnenflüchtlingen, am 23. März bereits fast 70.000 Albaner u. a. in Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Albanien Zuflucht gesucht. (...) Auf die OSZE und ihren umfassenden Bericht über die Menschenrechtslage im Kosovo kann sich niemand berufen, der für den März 1999 eine drohende humanitäre Katastrophe in Abrede stellen will!“

Dazu Brigadegeneral a. D. Heinz Loquai, ehemaliger Mitarbeiter der OSZE und Verfasser der Studie „Der Kosovo-Konflikt, Wege in einen vermeidbaren Krieg“:

„Nun hatte der UNHCR [das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge, die Red.] für den 24. 12. 1998 eine Gesamtzahl von 175.000 bis 200.000 Flüchtlingen innerhalb des Kosovo festgestellt. (...) Sie, Herr Abgeordneter, haben die Zahl aus dem OSZE-Bericht falsch interpretiert. Gemeint ist nämlich die Gesamtzahl all jener, die irgendwann im Jahre 1998 einmal den ,Status‘ eines Flüchtlings hatten, einschließlich derjenigen, die inzwischen zurückgekehrt waren. (...) Wenn man sich die Mühe macht, kann man aus unterschiedlichen Quellen ermitteln, dass der Anteil von Serben an den Flüchtlingen bezogen auf die Bevölkerungsanteile mindestens so hoch war wie der der Kosovo-Albaner, und andere Bevölkerungsgruppen waren noch weit höher repräsentiert. (...)

Nicht nachvollziehbar ist es für mich, wie Sie zu der Schlussfolgerung kommen können, der von Ihnen zitierte OSZE-Bericht räume in Kapitel 14 mit der Falschbehauptung auf, die Vertreibung der Albaner im großen Stil habe erst nach Kriegsbeginn am 24. 3. 1999 eingesetzt. Das Gegenteil ist der Fall! (...) Wenn Sie dazu noch in das Kapitel 5 schauen, dann werden Sie feststellen, dass auch das Töten von Kosovo-Albanern erst mit Beginn der Luftangriffe ein ,generalized phenomenon throughout Kosovo‘ (S. 38) wurde.“