„Die Linke hat Berlusconi gestärkt“

Paolo Flores d’Arcais, Chefredakteur der Zeitschrift „MicroMega“, über die Fehler der Regierungskoalition in den vergangenen fünf Jahren – und die Schwierigkeit, sie in wenigen Wochen wieder auszubügeln

taz: Darf man Ihrer Zeitschrift glauben, dann ist Berlusconi eine Gefahr für die Demokratie. Weshalb?

Paolo Flores d’Arcais: Wenn in Deutschland ein Politiker anträte, der den Großteil der Fernsehsender kontrolliert – dann würde er selbstverständlich als Gefahr gesehen. Wenn dieser Mann auch noch wegen Bestechung von Richtern und Politikern, wegen Bilanzfälschung mit der Justiz zu tun hätte, dann würden sich die deutschen Wähler in ihrer demokratischen Freiheit bedroht fühlen.

Ein Großteil der Italiener fühlt sich nicht bedroht.

Das ist leicht zu erklären. Gehen wir fünf Jahre zurück, zum Sieg des „Ölbaum“-Bündnisses 1996. Damals galt Berlusconi als gescheitert. Alle diskutierten darüber, wer ihn als Anführer der Rechten beerben werde. Zugleich sprach man offen von einem baldigen Bankrott seiner hoch verschuldeten TV-Holding Mediaset. Als Bürger schien Berlusconi angesichts der schwerwiegenden Anklagen ebenfalls am Ende zu sein. Die Rechte hätte von vorn beginnen müssen – wenn da nicht Massimo d'Alema von den Linksdemokraten gewesen wäre. Der wollte im Dialog mit Berlusconi Italiens Verfassung neu schreiben. Damit hat er Berlusconi eine neue Legitimation verschafft. Die Folgen liegen auf der Hand: Berlusconi war erneut unbestrittener Chef der Rechten, er bekam wieder Kredit bei den Banken. Auch seine Propaganda gegen die Justiz gewann dadurch an Glaubwürdigkeit – ein Verfassungsvater kann schließlich kein Krimineller sein.

Berlusconi behauptet, er sei kein Sonderfall. Schließlich gehöre seine Forza Italia zur Europäischen Volkspartei.

Von Chirac zum Beispiel ist er meilenweit entfernt. Für die Gaullisten ist der Antifaschismus zentral. Sie riskieren eher eine Wahlniederlage, als mit der extremen Rechten zusammenzugehen. Berlusconi dagegen hat jetzt Wahlabsprachen mit den Faschisten getroffen, um sich ein paar Wahlkreise mehr zu sichern. Berlusconi vergleicht sich auch gerne mit Aznar. Aber in Spanien darf ein Unternehmer höchstens 40 Prozent an nur einem TV-Sender halten. Wenn eine solche Norm in Italien eingeführt würde – dann würde Berlusconi, der gleich drei Sender hält, sofort von „proletarischer Enteignung“ sprechen.

Im Wahlkampf wollte die Linke Berlusconi zunächst nicht frontal attackieren. Solche Angriffe galten als der sicherste Weg, die Wahlen zu verlieren.

Das Gegenteil ist wahr. Vor einigen Monaten lag Berlusconi um 15 Prozentpunkte vorn, jetzt ist dieser Abstand auf zwei bis drei Punkte zusammengeschrumpft. Wenn Mitte-Links von Anfang an über das Problem Berlusconi geredet hätte, wären die Chancen jetzt besser. Leider ist die Wende erst in den letzten Wochen erfolgt. Rutelli führt einen hervorragenden Wahlkampf. Die Frage ist aber: Reichen einige Wochen, um die Fehler der letzten fünf Jahre gutzumachen? INTERVIEW: MICHAEL BRAUN