Rutellis Wettlauf mit der Zeit

Kurz vor der Wahl schöpft die italienische Linkskoalition wieder Hoffnung, dass sie das Rennen gegen den Medienmogul Berlusconi gewinnen kann

aus Rom MICHAEL BRAUN

„Berlusconi wäre ein Risiko für unser Land. Ich betone: wäre.“ Francesco Rutelli lächelt wissend und gönnt seinen Zuhörern einen eindringlichen Blick: „Denn am Ende wird der Sieg uns gehören.“ Dutzende Male wiederholt der Spitzenkandidat des Mitte-links-Bündnisses dieser Tage seinen Spruch, im TV-Studio wie auf Kundgebungen. Am schönsten sei doch ein Sieg in der letzten Runde, mit Überholmanöver auf der Zielgeraden – ganz so, wie Ferrari-Star Michael Schumacher vor zwei Wochen am Konkurrenten Mika Häkkinen vorbeigezogen sei. Rutelli schaut dabei so selbstzufrieden drein, als flimmerten schon die ersten Hochrechnungen vom Sieg seiner Ölbaum-Koalition über den Bildschirm.

Obwohl die Umfragen seit Monaten Berlusconi den Sieg verheißen, zieht Rutelli voll unverdrossener Siegeszuversicht durchs Land. Und er macht seine Sache so gut, dass auch die anfangs demoralisierte Anhängerschaft wieder Mut gefasst hat. Ob in der Lombardei, in Kalabrien oder auf Sardinien: Wenn Rutelli kommt, sind die Plätze voll, und die schlechte Stimmung ist wie weggeblasen. In den letzten 14 Tagen vor der Wahl dürfen zwar keine Umfragen mehr veröffentlicht werden, doch zuletzt war der Vorsprung der Rechten deutlich geschrumpft.

Wohl auch, weil Rutelli das Beste aus seinem undankbaren Job gemacht hat. Als Kandidat der Regierungskoalition muss er einerseits mit einem „weiter so“ antreten – und andererseits hat er dem Wahlvolk klar zu machen, dass unter ihm alles ganz anders wird. Da sind dialektische Künste gefragt. Nach Kräften lobt Rutelli die Bilanz der drei linken Ministerpräsidenten Romano Prodi, Massimo d’Alema und Giuliano Amato: Italien in der Eurozone, der Staatshaushalt saniert, die Steuern leicht gesenkt, Sozialleistungen erhöht. Darauf folgt in Rutellis Reden regelmäßig ein Passus, der den Kandidaten wie ein Vertreter der Opposition aussehen lässt: Schluss müsse sein mit einer tief zerstrittenen Koalition, mit dem Hickhack zwischen allzu vielen Partnern.

„Glaubwürdigen Wandel“ nennt Rutelli diesen Drahtseilakt zwischen Kontinuität und Neuanfang. Bisher ist er noch nicht vom Seil gefallen. Das hat er nicht zuletzt seinen Partnern im Bündnis zu danken. Nochpremier Amato und dessen Vorgänger d’Alema verkörpern Kontinuität – und präsentieren sich als loyale Rutelli-Minister in spe zugleich in einer ganz neuen Koalitionsharmonie.

Die größte Hilfe aber wird Rutelli durch den Gegner zuteil, durch Silvio Berlusconi. Der verkörpere den „risikobehafteten Wandel“, meint der Kandidat von Mitte-links. Der habe kein Programm, und deshalb entziehe er sich jeder direkten Konfrontation in einem TV-Duell. Tatsächlich hat es die Rechtsallianz aus Berlusconis Forza Italia, aus der postfaschistischen Alleanza Nazionale und den norditalienischen Populisten der Lega nicht für nötig befunden, die Wähler mit einem ausformulierten Programm zu belästigen. Durch ihre pure Existenz verkörpern Berlusconi und seine Partner das Programm eines radikalen Bruchs.

Eines Bruchs mit der Demokratie der überkommenen Parteien und ihrer Apparate, mit der Demokratie der „Politikaster“ und ihrer Konsensmechanismen. „Ein Mann der Tat“ sei er, „ein der Politik geliehener Unternehmer“, erklärte Berlusconi am Dienstag in einer Polit-Talkshow. Dann zog er einen Vertrag aus der Tasche, fein säuberlich auf Notariatspapier getippt. Da verspricht ein „Silvio Berlusconi, geboren am 29. September 1936 in Mailand“, er werde den Spitzensteuersatz auf 33 Prozent zurückführen, die Mindestrente auf 1.000 Mark anheben, das Land mit neuen Eisen- und Autobahnen segnen, 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen – und in fünf Jahren nur dann erneut zur Wahl antreten, wenn er mindestens 80 Prozent seiner Versprechen erfüllt habe. Er stamme halt „aus der Welt der Wirtschaft“, und dort seien Versprechen bindend. Anders als bei den „Schwätzern“ auf der Gegenseite.

Berlusconi entwirft nicht nur das Bild vom „Unternehmen Italien“, er liefert auch den passenden Führungsstil dazu. Schon vor dem Sieg gebärdet er sich wie ein selbstherrlicher Vorstandsvorsitzender. Mit Rutelli mag er sich nicht im direkten Schlagabtausch messen. Der Gegner sei bloß ein Pappkamerad, ein „Aushängeschild“, ein „Strohmann der Kommunisten“. Wenn überhaupt, dann will Berlusconi nur mit Massimo d'Alema diskutieren, dem starken Mann der Linksdemokraten.

Zum Spitzenkandidaten hatte sich Berlusconi selbst nominiert – kein Parteitag, kein Gremium seiner Wahlallianz hat je über seine Kandidatur befunden. Wird er am Sonntag gewählt, möchte er am liebsten auch den künftigen Oppositionsführer nach seinem Gusto aussuchen. „Weg mit d'Alema, weg mit Veltroni“, brüllte er am letzten Wochenende auf einer Großkundgebung. Der Expremier und der Chef der größten Regierungspartei seien „Kommunisten“ und müssten daher „aus dem Parlament vertrieben werden“. Einmal abgewählt, könne d'Alema tun, was er sein Leben lang vermieden habe – „endlich arbeiten gehen“.

Die Partner von der Lega Nord setzen noch eins drauf. „Nur eine Nacht“ brauche die Rechtskoalition, um im Staatsfernsehen RAI aufzuräumen und die missliebigen Journalisten hinauszuwerfen, hetzte Lega-Chef Umberto Bossi. Die „linke Brut“ will er „mit der Hacke in der Hand aufs Feld“ schicken.

Ein Hauch von autoritärem Regime wehe durchs Land, sagt der Schriftsteller Umberto Eco über diese Rechte. Eine Rechte, die ihren Wahlkampf mit dem verbalen Knüppel führte. Sie verwandelte den Urnengang am Sonntag in ein Referendum über Berlusconi. Diesen Erfolg kann der Mailänder Medienmogul zumindest schon verbuchen.