■ H.G. Hollein
: Besser so

Die Frau, mit der ich lebe, ist unberechenbar. Zumindest dann und wann. Machte sich die Gefährtin doch vorgestern erbötig, mir zwei Hemdknöpfe anzunähen, deren Verzichtbarkeit für mich – in souveräner Missachtung eitler Äußerlichkeiten – bereits beschlossene Sache war. „So kannst du doch nicht rausgehen, Schatz“ beschied mich die Gefährtin mit resoluter Mütterlichkeit und fügte mit überzeugend gekränktem Unterton hinzu: „Warum hast du denn nichts gesagt?“ Bass erstaunt ob eines derartigen Wandels durch Annähen legte ich in ehrfurchtsvollem Schweigen der Gefährtin mein baumwollenes Gewand in die verzeihend ausgestreckten Hände und wandelte grübelnden Sinnes meiner täglichen Wege. Konnte es sein, dass die Gefährtin glaubte, einen mir angetanen großen Tort wiedergutmachen zu müssen? Oder war die Gefährtin als Opfer einer prämenopausalen Irritation in eine wahrhaftig längst abgelegte Frauenrolle zurückgefallen? Ich war mir – abgesehen von den üblichen Anpfiffen und Schuriegeleien, die der geübte Domestik allemal als integralen Wesenbestandteil seiner Herrin ergeben von sich abperlen lässt – keiner nachhaltigen Kränkung bewusst. Auch hormonell vermochte ich an der Gefährtin ob ihrer allzeit stabilen Rückenlage bis dato keine besorgniserregenden Anzeichen zu entdecken. Und nun: Erwartete mich bei meiner Rückkehr am Ende ein gedeckter Abendbrottisch inklusive geöffneter Flasche Bier und den neuesten Nachrichten aus dem Treppenhaus? Ich gestehe, dass mich die Versuchung eines derartigen Idylls den Tag über durchaus gelegentlich aus einer verheißungsvollen Ferne anwehte. Allein, als ich die heimische Tür durchschritt, erwartete mich die Gefährtin auf dem Rand des Bettes sitzend mit einem vorwurfsvoll gereckten Zeifgefinger, aus dessen Spitze ein Blutstropfen quoll, bellte „Mach deinen Scheiß demnächst alleine!“ und warf mir mein Hemd vor die Füße. Nun denn. Die Gefährtin hat gegeben, die Gefährtin hat genommen. Die Wege der Gefährtin sind unerforschlich.