Reinkarnation abseits von Schwabingen

■ Solveig Klaßens deutsch-tibetische Schein-Liebesgeschichte „Jenseits von Tibet“

Es hätte eine parodistische Begegnung zwischen dem Dalai Lama und einem schwäbischen Häusle-Besitzer sein können: Ein junger Tibeter in ockerfarbenem Unterhemd schaut andächtig zu, wie sein Schwiegervater mit einem Vileda-Zauberstab die Spinnen unter dem Satteldach aufscheucht. Auf das Kommando „Alles schön sauber machen!“ darf auch der fremdländische Schwiegersohn üben.

Sieht so Völkerverständigung aus? Als Paradebeispiel des Scheiterns prägt sich nur diese Sequenz des Dokumentarfilms Jenseits von Tibet ein. Regisseurin Solveig Klaßen ist bemüht, die Liebesgeschichte zwischen der Musikerin Sandra Herbener und dem ehemaligen tibetischen Mönch Ngawang Gelek zugleich als gelungene kulturelle Annäherung zu erzählen. Doch so liefert Klaßen bloß eine Resozialisierungsbiographie ab.

Mit 15 Jahren reißt Sandra aus ihrem wohlsituierten, doch zerrütteten Villinger Elternhaus in eine Berliner WG aus. Als „Santrra Oxyd“ spielt sie sich auf ihrem Schifferklavier in die Herzen der Punk-Gemeinde. Sandra nimmt Drogen, schneidet sich die Pulsadern auf, bis sie im Zen-Buddhismus Halt findet. Auf einer Indien-Reise begegnet sie dem tibetischen Einsiedler-Mönch Ngawang Gelek, der wegen seines Einsatzes für die Unabhängigkeit Tibets von chinesischen Kommunisten jahrelang in Gefängnissen gefoltert wurde. Er nimmt sein Glaubensgelübde zurück, um Sandra in Berlin zu heiraten, wo er als Wanderprediger mit Punks in den Fußgängerzonen meditiert. Sandra tingelt derweil durch die Off-Clubs, um die Haushaltskasse zu füllen.

Grund für die ungewollte Biografie ist die Bildmitten-Präsenz San-dras: Sie doziert über ihr Dasein, spaziert, improvisiert, meditiert, konzertiert. Regisseurin Klaßen liebt dabei Bildhintergründe wie rauschende Hecken oder sprießendes Gras, die so austauschbar sind wie sie ermüden. Enervierend wirkt zusätzlich der dominate Darstellungsdrang Sandras, die gerne Lebensweisheiten à la „Man muss gemein sein und verlogen, um eine Mark zu machen“ zum Besten gibt. Die Regisseurin lässt kein Klischee im Fettnäpfchen-Parcours aus: Die Aussteiger-Biografie ist typisch für ein Töchterchen aus gutem Hause, die an der harschen Realität zugrunde zu gehen droht und ihr Heil in eskapistischem Spiritualismus findet.

Als Sandra die Einbürgerung Ngawangs mit dem Satz „Wir leben als Künstler!“ durchsetzen will, hakt die Beamtin nach: „In diesem Stil wollen sie weitermachen?“ Das möchte man auch die Regisseurin fragen. Frank Schönian

So–Mi, 18 Uhr, 3001; Sa, 17.30 Uhr, Mo–Mi, 17.30 Uhr + 19.30 Uhr, Zeise