Die Einigkeit ist perdu

Das einst hoch gelobte Internetunternehmen Pixelpark will nicht nur hunderte Beschäftigte entlassen, es hat seit gestern auch einen Betriebsrat. Und der will „Freiheiten sichern“

von HANNES KOCH

Nach mehrjährigem intergalaktischen Höhenflug tritt Paulus Neef wieder in die Erdatmosphäre ein. Es zischt und rüttelt. Der Anflugwinkel ist sehr steil. Der Pilot, Chef und Inspirator des Berliner Multimedia-Unternehmens Pixelpark ist ziemlich vom Kurs abgekommen.

Vor kaum einem Jahr begründete Neef, warum in seinem Betrieb beinahe der Kommunismus ausbrach: „Wenn die Beschäftigten Spaß und größte Freiheiten haben, kommt keiner auch nur im Traum auf die Idee, nach geregelten Arbeitszeiten zu fragen.“ Der Chef erklärte, er behandele seine Internetspezialisten dermaßen gut – tolle Gehälter, Aktienoptionen, coole Büros mit schickem Blick über die Stadt – dass jeder fünf Abwerbeangebote ausschlage, nur um bei Pixelpark zu bleiben. In seinem Reich herrsche Interessenidentität zwischen Managern und Arbeitern, so Neef. „Da brauchen Sie keinen Betriebsrat.“

Neef hat sich geirrt. Schon als er seine vollmundigen Äußerungen losließ, hatten einige Beschäftigte die Gewerkschaft kontaktiert. Gestern nun gründeten sie den Betriebsrat. Und zwei Drittel der Belegschaft, rund 350 Leute, gaben ihre Stimme ab.

Die New Economy hat ihre Gründungs- und Unschuldsphase hinter sich. Das kommt vom Aktiencrash, von der Krise der Internetwirtschaft mit ihren gigantischen Verlusten, aber auch vom schlichten Älterwerden. Pixelpark macht da keine Ausnahme, genießt aber große Aufmerksamkeit, weil Neef immer gerne den Internetguru spielte und seine Firma über Jahre so unglaublich erfolgreich schien.

Markus Kempken meldet sich am Telefon immer noch mit „Markus“ – was Geschäftskunden gelegentlich verwirrt. Doch der Artdirector kann sich von der alten Firmenidentität des „Alle ziehen an einem Strang“ nur schwer trennen. Nun sitzt Kempken im Betriebsrat.

„Es dauert, bis sich neue Vorstandsmitglieder im Betrieb mal offiziell vorstellen“, schildert Kempken die Veränderungen im Umgang, die ihn dazu trieben, eine Mitarbeitervertretung anzuschieben. Früher ging er die „15 Schritte“ zu Paulus Neef ins Büro, der meistens tatsächlich Zeit hatte. Mittlerweile mache sich die „Entscheidungsebene unsichtbar“. Meistens sei weder nachvollziehbar, wer etwas entscheide, noch was entschieden worden sei. Von den anstehenden 200 Kündigungen haben die Beschäftigten denn auch aus der Zeitung erfahren – erst danach schickte Paulus Neef eine E-Mail an alle herum: „Ich bedauere diesen notwendigen Schritt ausdrücklich.“

Wo früher keine Hierarchien existierten, müssen sich die normalen Beschäftigten mittlerweile mit drei oder vier Leitungsebenen auseinander setzen, die sich ständig gegenseitig die Kompetenzen abjagen. Hinzu kommen die Interessen der Kapitalseite. Je länger die Krise der Internetwirtschaft dauert, je mehr die Verluste auch bei Pixelpark steigen, desto mehr drückt der Hauptaktionär Bertelsmann auf die Tube. Die geplanten Entlassungen dürften auf den Druck zurückzuführen sein, der seinen Ursprung im fernen Gütersloh hat – unerreichbar für die Pixelpark-Beschäftigten.

Die alte Einheit ist zerbrochen, die unterschiedlichen Interessen von Kapital und Arbeit haben sich ausdifferenziert, und die kapitalistischen Revolutionäre nähern sich der Old Economy von Siemens und Thyssen wieder an. Trotzdem muss eine Mitarbeitervertretung bei Pixelpark grundsätzlich anders funktionieren als ein Betriebsrat bei der Deutschen Bahn AG.

„Es gibt hier sehr individuelle Gründe, warum man sich einen Betriebsrat wünscht“, weiß Markus Kempken. Ulrich Klotz, New-Economy-Spezialist beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt, sieht die modernen Räte als „Agenturen des Wandels“. Ihnen komme die Aufgabe zu, die Unternehmen möglichst flexibel zu halten und Verkrustungen immer wieder aufzubrechen. „Freiheiten sichern“, sagt Markus Kempken dazu. Es sei überhaupt nicht einzusehen, dass die einstige Flexibilität beim Arbeitsbeginn neuerdings auf einheitlich neun oder zehn Uhr vormittags festgezurrt werde.

Klar ist auf alle Fälle, dass die modernen Betriebsräte viel weniger kollektive Regelungen treffen können, die für große Gruppen von Beschäftigten gleichermaßen gelten. Vornehmlich werden sie sich als Serviceagentur verstehen, die einzelne Multimedia-Arbeiter dabei unterstützt, deren jeweils eigene Interessen gegenüber der Chefetage durchzusetzen.

Doch das ist einstweilen Zukunftsmusik. Jetzt müssen sich Markus Kempken und seine KollegInnen erstmal mit den unangenehmen Dingen beschäftigen: Jeder Kündigung zustimmen, oder sie begründet ablehnen. Paulus Neef hat in seiner Rund-Mail bereits angekündigt, dass er beim Personalabbau „mit der Unterstützung des Betriebsrates agieren“ wolle. So wird sich die Ausdifferenzierung der Interessen fortsetzen – dann zwischen Betriebsrat und Belegschaft.