„Mehr Zuspruch, bitte!“

Moderation KATHARINA KOUFEN
und BERND PICKERT

taz: Herr Hermle, wenn Sie zur Charakterisierung von zweieinhalb Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik nur das Begriffspaar „Aufbruch“ oder „Enttäuschung“ zur Verfügung hätten – was würden Sie wählen?

Hermle: Beides. Die Erwartungen waren hoch, nach all der Stagnation wurde frischer Wind erwartet. Die Einbrüche im Haushalt haben die Stimmung ziemlich beeinträchtigt. Aber wir sehen positive Ansätze, was das Grundverständnis von Entwicklungspolitik als globale Strukturpolitik angeht.

Wiezcorek-Zeul: Ein bisschen mehr Zuspruch, bitte! Wir haben in den ersten Monaten unserer Amtszeit die erste multilaterale Entschuldungsinitiative für die ärmsten Entwicklungsländer in Gang gesetzt, die es überhaupt in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Wir haben damit Weltbank und Währungsfonds erstmalig dazu bewegt, ihre traditionell falsche Politik in Richtung auf die Armutsbekämpfung zu verändern, was die alte Bundesregierung gescheut hat wie der Teufel das Weihwasser. Da kann ich eine Bewertung, die sagt „auch Enttäuschung“, nicht verstehen.

Hermle: Es ist gar nicht dran zu rütteln, dass die Initiative zur Entschuldung ein großes Verdienst ist. Da hat die neue Regierung zugelegt, und es hat sich qualitativ was verändert.

Wiezcorek-Zeul: Und quantitativ!

Hermle: Trotzdem haben wir bei näherer Betrachtung Zweifel, ob die Effekte schon so groß sind, wie wir sie bräuchten. Unsere Partnerländer sagen uns, dass de facto die Kreditbedingungen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank weiter bestehen: Sparprogramme, Haushaltssanierung. Die Hoffnung, dass die Länder wie versprochen ihre Entwicklungsstrategien selbst bestimmen dürfen und ihre eigenen Pläne zur Armutsbekämpfung entwerfen, scheint sich nicht zu realisieren.

Wieczorek-Zeul: Aber wir haben sichergestellt, dass die Zivilgesellschaft an der Armutsbekämpfung beteiligt ist. Das ist schon mehr, als es je gab. Bisher hat die Sparpolitik, die der IWF verordnet hat, in den betroffenen Ländern die Gesundheitsdienste und die Schulen zerschlagen. Jetzt müssen die Haushaltsansätze einen Ausbau des Bildungs- und Gesundheitssektors vorsehen.

Sie tun so, als würde Ihre Regierung sich jetzt ganz besonders in diesen ärmsten Ländern einsetzen. Aber dafür haben Sie doch selbst kein Geld: Der Haushalt des Entwicklungsministeriums ist niedriger als unter der Regierung Kohl.

Wieczorek-Zeul: Wir haben eine Steigerung von 325 Millionen Mark gegenüber dem Vorjahr.

Trotzdem ist der Entwicklungshaushalt unter rot-grün gesunken!

Wieczorek-Zeul: Ach, gucken Sie doch nicht nur auf die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit! Nach neuen Zahlen der Weltbank hat die Erhöhung der Mineralölpreise und der gleichzeitige Verfall der Rohstoffpreise für die afrikanischen Länder, für die Daten vorliegen, einen Verlust von 5,4 Milliarden US-Dollar verursacht. Das heißt letztlich, dass wir die immer weiter gehende Verarmung der Entwicklungsländer nur verhindern können, wenn diese Länder von den Industrieländern und der Europäischen Union nicht länger als bloße Rohstoffexporteure festgehalten werden. Dazu brauchen wir die Öffnung der europäischen Märkte. Die Entwicklungsländer könnten jährlich 40 Milliarden US-Dollar einnehmen, wenn die Industrieländer ihre Agrarmärkte nicht abschotten würden. Dafür müssen wir uns einsetzen!

Hermle: Da haben Sie ja unsere Unterstützung – nur erwarten wir natürlich auch Taten. Die Forderung allein reicht nicht.

Wiezcorek-Zeul: Wir haben den ehemaligen Agrarminister dazu gebracht, dass die Bundesregierung den Vorschlag der EU-Kommission unterstützt, die Märkte für die 48 ärmsten Länder zu öffnen.

Hermle: Wir hatten gehofft, dass die Öffnung der Märkte für die 48 ärmsten Staaten bereits auf dem EU-Gipfel in Nizza beschlossen würde – so, wie es auch die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Dazu ist es leider nicht gekommen. Es gab ja auch in Deutschland erst mal eine Verzögerung mit Rücksicht auf die sensiblen Bereiche, in denen man nicht so gern billige Konkurrenz von draußen reinlässt, zum Beispiel Zucker.

Wiezcorek-Zeul: Nein! Unsere Linie in den Verhandlungen war Unterstützung für den Vorschlag – so, wie er aus der Kommission kam: die völlige Freigabe der Märkte für die 48 ärmsten Entwicklungsländer, ohne Zölle, ohne Quoten. Mit Übergangsregelungen bis zum Jahr 2004 für Bananen, Zucker und Reis. Zugegeben, was den früheren Agrarminister anging: Halb zog man ihn, halb sank er hin . . .

Hermle: Warum ist das so schwierig? Die Bereiche umfassen einen Marktwert von 77 Millionen Mark, eine Öffnung führt zu Zollverlusten von gerade 10 Millionen Mark.

Wiezcorek-Zeul: Weil es nach wie vor vermachtete und über Subventionen geschützte Bereiche der EU-Agrarpolitik gibt. Die Subventionierung des Zuckers kostet allein die Verbraucher und Verbraucherinnen in Deutschland 2,7 Milliarden Mark jährlich. Das ist absurd.

Die rot-grüne Regierung versteht Entwicklungspolitik als ressortübergreifende Strukturpolitik. Herr Hermle, funktioniert das Konzept?

Hermle: Ich fürchte, die Armutsbekämpfung kommt dabei zu kurz.

Wiezcorek-Zeul: Zu Unrecht. Strukturpolitik, also ressortübergreifende Entwicklungspolitik, ist wichtig: Die Asienkrise hat die Armut für bestimmte Gruppen im Land verschärft, und wenn wir nicht versuchen, Einfluss auch auf die Finanzmärkte zu nehmen, dann können wir noch so viel Entwicklungshilfe leisten.

Hermle: Trotzdem: Wir brauchen auch die direkte Hilfe.

Wieczorek-Zeul: Das zieht doch auch niemand in Zweifel.

Hermle: Aber die Mittel für die sozialen Grunddienste wie Bildung, medizinische Grundversorgung, Wasserversorgung, haben sich seit 1997 halbiert. Da sehe ich einen Widerspruch.

Wiezcorek-Zeul: Nur auf den ersten Blick. Armutsbekämpfung geht doch viel weiter. Die Gesamtheit aller darauf orientierten Maßnahmen beträgt über fünfzig Prozent unserer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit insgesamt. Und im Übrigen müssen wir nicht alles über unseren eigenen Haushalt machen. Früher war es so, dass Geber auch gegeneinander gehandelt haben. Heute müssen wir Interesse an guter Abstimmung haben. Was die Weltbank oder die EU machen, müssen nicht gleich alle anderen machen.

Frau Wieczorek-Zeul, vor zwei Jahren haben Sie uns im Interview gesagt, Entwicklungspolitik rücke in der neuen Regierung ins Zentrum der Politik. Haben Sie sich da nicht ein bisschen überhoben?

Wiezcorek-Zeul: Etwa zwei Drittel der Themen, die die G 7 behandeln, sind entwicklungspolitische Fragen. Das geht von der drohenden Abkoppelung der Entwicklungsländer in der Informationstechnologie bis zur Frage der Aids-Bekämpfung und Entschuldung. Der Bundeskanzler hat etwa beim Millenniumsgipfel einen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung in den Entwicklungsländern angekündigt. Hier will sich die gesamte Regierung einbringen, um das Ziel zu erreichen, bis 2015 den Anteil der Armen zu reduzieren.

Hermle: In dem Entwurf des Aktionsplans wird zwar das 0,7-Prozent-Ziel bestätigt, also dieses alte Ziel, dass die Industrieländer 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Entwicklungshilfe stecken. Aber das passt im Moment so wenig in die politische Landschaft, dass ich gar nicht sehe, wie das in absehbarer Zeit je realisiert werden könnte. Ich fürchte, wenn da nicht noch eine andere Hausnummer, zum Beispiel die des Auswärtigen Amtes, dazukommt, gibt es ein Glaubwürdigkeitsproblem. Es müsste auch eine stärkere Debatte geben, wie zusätzliche Gelder beschafft werden können. Vorschläge wie etwa eine Spekulationssteuer, die Gelder für soziale Zwecke in die Kassen bringen könnte, werden nicht seriös diskutiert, da wünsche ich mir auch von Ihnen mehr Unterstützung.

Neu an Ihrer Regierung ist die Konzentration auf Schwerpunktpartnerländer. Was ist der Hintergrund?

Wiezcorek-Zeul: Als ich ins Amt gekommen bin, hatten wir nominell eine Entwicklungszusammenarbeit mit 118 Ländern. Es ist unrealistisch zu glauben, man könnte in all diesen Ländern einen wirklichen strukturbildenden Einfluss nehmen. Also versuchen wir, uns mit der EU, mit der Weltbank und den bilateralen Gebern stärker abzusprechen, so dass nicht wieder jeder alles versucht, sondern gezielt geholfen wird.

Hermle: Die Konzentration hat wohl schon auch etwas mit den Finanznöten zu tun, da machen wir uns besser nichts vor. Aber von einer europäisch abgestimmten Arbeitsteilung kann doch bislang keine Rede sein! Dissens gibt es in der Frage der Länderauswahl. Es wird nicht so recht klar, nach welchen Kriterien diese Länder nun ausgesucht wurden, das ist letztlich nicht nachzuvollziehen.

Wiezcorek-Zeul: Das betrifft Sie als Nichtregierungsorganisation gar nicht, Sie müssen sich da nicht dran halten. Im Gegenteil, es gibt Länder, wo wir offizielle Zusammenarbeit gar nicht gewährleisten können, wo Nichtregierungsorganisationen besonders wichtig sind.

Hermle: Wir fürchten aber, dass sich die Geber vor allem auf die Länder konzentrieren, die wirtschaftlich interessant sind.

Wiezcorek-Zeul: Nein. Aber wir müssen auch die Schwellenländer einbeziehen. Schließlich leben in diesen Ländern ein Drittel aller Armen.