Latrina magica

■ Poetische Alltagsverrichtungen: Hans König, Leiter des Kultur-bahnhofs Vegesack, hat ein Stück geschrieben, schön „du pain“

Nein, sie sind nicht eben gut beleumundet, die Toiletten. Zumal, wenn es sich um öffentlich zugängliche handelt. Allerdings ist so etwas wie eine Umorientierung im Sanitärbereich zu beobachten. Dabei geht es nicht ums Klodesign, sondern um unser Bild vom Abort, der eben auch ein kommunikativer Ort sein kann.

Bart Simpson erkundet die Links- respektive Rechtsdrehung der Spülung, wobei er einen gehörigen Keil in die guten Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Australien treibt. Und nicht der schlechteste dramaturgische Einfall des Ally McBeal-Erfinders David E. Kelley ist die Unisex-Toilette in der Anwaltskanzlei.

Mit einer solchen haben wir es auch bei Hans Königs Stück „Der Mann, der im Klo verschwand“ zu tun. Ein öffentliches Pissoir, inklusive einer rührenden Klofrau, die mit einem fröhlichen „Morgen!“ auf den Lippen ihre beiden Lieblingsschüsseln begrüßt. Die Hingabe, mit der sie sich ihrem Herrschaftsbereich widmet, erscheint als die geblümte Version einer der Schwabschen „Präsidentinnen“. Doch etwas stimmt nicht. Mulder, was ist das? Es gibt bestimmt eine Erklärung dafür, Scully! Eine Toilette als quasi mystischer Ort, ein Text, der pausenlos nach einer Art Magischem Realismus im Alltäglichsten sucht. Und zwei SchauspielerInnen, die nach Kräften versuchen, beidem gerecht zu werden.

Das bedeutet zunächst einmal ausgiebiges Kostümchenwechseldich, bedeutet auch einen, nun ja: liebevollen Nachbau mit vielem, was zum nämlichen Etablissement gehört. Immerhin ist die Mutter aller Klosprüche vertreten: Beware of Limbo dancers, unten auf der Tür. Warum dieser Spruch allerdings draußen (?) aufgepinselt wurde... Jedenfalls gibt sich eine ganze Reihe mehr oder weniger normaler (oder skurriler, was fast das gleiche ist) Menschen ein Stelldichein. Da ist der schüchterne Radfahrer, der, nachdem er sich umständlich der Handschuhe entledigt und durch seine offensichtlich riesige Blase stets die Aufmerksamkeit der Klofrau erregt hat, enttäuscht den Ort des Geschehens verlässt, weil er in der Schüssel nur skandinavische Bergformationen erkennt. Da ist die Managerin, der die Nutzung der Örtlichkeit augenscheinlich Tortur ist. Da ist der selbstgerechte Theaterregisseur, dem seine Schauspielerin anklagend im Spiegel über dem Waschbecken erscheint.

Ein Ort des Unheimlichen, wo die Gegenstände ein Eigenleben führen, die Menschen in ihrem Innersten packen. Ein Fäkal- und Psychodrama, das zugleich Lustspiel ist und Farce. Man ahnt, es ist ein tief(un)ernster Text, den Hans König in der auch vom „Théatre du Pain“ (wo König Mitglied ist) bekannten Mischung aus Melancholie, Blödsinn und Poesie zusammengebastelt hat. Man ahnt es, denn was den „Mann, der im Klo verschwand“ so schön, so bizarr, so poetisch macht, dringt zu selten durch das Spiel Sybille Denkers und Peter W. Hermanns von der „TheaterWerkstatt Freiburg“. Die Inszenierung arbeitet sich an Klischees ab, die der Text eigentlich hinter sich lässt.

So kommt viel zu kurz, dass der Raum für eine Toilette ein ungewöhnlich ausgeprägtes moralisches Empfinden hat. Nicht zufällig lässt er Managerin und Penner sich ineinander verlieben. „Charlotte“, haucht er von einer Kabine zur anderen, „Sie finden sich eines morgens als Schweinelende auf einem Teller. Was denken Sie?“ – „Dass nur Sie ihren Senf dazugeben!“ Das ist schön und nicht nur albern. Am ehesten scheint die Qualität der Worte auf, wenn immer wieder ein fiktives Radiofeature zu hören ist: „Ein gebührender Platz in der Sanitärgeschichte“ komme den Deutschen seit 1928 zu, als ein schwäbischer Kaufmann „der Welt erstes Toilettenpapier mit garantierter Blattzahl“ erfand.

Der titelgebende Mann übrigens vertieft sich bei wiederholten Besuchen in ein Zwiegespräch mit dem Klo und bekommt eine Blume geschenkt, die er sich ans Revers heftet. Zum Schluss bleibt nur sein Schlips auf der Klobrille zurück. Wie er verschwand auch der Text in der Inszenierung, leider. Trotzdem wird man das Klo mit anderen Augen und Ohren besuchen, wird das Tröpfeln des Wassers aus dem Hahn, die Schritte auf dem Kachelboden, das Klimpern der Groschen hören wie eine Musik.

Tim Schomacker