RUSSLAND WILL SEINEN POLITISCHEN EINFLUSS IN DER UKRAINE AUSBAUEN
: Der geeignete Mann

Manchmal hat Russlands Präsident Wladimir Putin das richtige Händchen zum richtigen Zeitpunkt. So dürfte der Kremlchef mit der Ernennung von Wiktor Tschernomyrdin zum neuen Botschafter in der Ukraine zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Denn der Exchef des russischen Energieversorgers Gazprom ist nicht nur dafür prädestiniert, energiepolitische Zwistigkeiten beizulegen.

Und da besteht aus Moskauer Sicht schon länger Handlungsbedarf. Immerhin schuldet die Ukraine ihrem großen Nachbarn Russland mittlerweile rund 1,5 Milliarden US-Dollar für Gaslieferungen. Auch wurden, wie Präsident Leonid Kutschma einräumen musste, Transitpipelines nach Westeuropa von der Ukraine angezapft und damit quasi zum Selbstbedienungsladen. Gleichzeitig weigert sich Kiew, der Russischen Föderation im Austausch gegen einen Schuldenerlass die Kontrolle über die Transitpipelines einzuräumen. Die Pläne Moskaus, sich für den Bau einer Pipeline gen Westen andere Transitländer, wie Polen, zu suchen, kämen allemal teurer als eine Einigung mit der Ukraine.

Doch werden nicht nur Tschernomyrdins Qualitäten als Energiemanager gefragt sein. Seine Berufung bedeutet auch den Versuch Russlands, wieder verstärkt politischen Einfluss auf die Ukraine zu nehmen. Die Möglichkeiten dafür sind derzeit günstig: Noch immer schwächelt Staatschef Kutschma angesichts des Vorwurfs, in die Ermordung des Journalisten Gongadse verstrickt zu sein. Vor zwei Wochen stolperte der reformorientierte Premier Wiktor Juschenko über ein Misstrauensvotum von Kommunisten und Oligarchen. Überdies sollen Teile des Energiesektors privatisiert werden, an denen Moskau sein Interesse signalisiert hat.

In Anbetracht seiner guten Beziehungen zu den einflussreichen Oligarchen, die sich als Teil der ukrainischen Politelite nicht selten via Russland bereichert haben, ist Tschernomyrdin auch hier der geeignete Mann für eine Annäherung an Moskau. Wie die im Einzelnen aussieht ist derzeit noch unklar. Nur eins steht fest: Auf feuchtfröhliche Empfänge wird sich Tschernomyrdin in seinem neuen Amt keinesfalls beschränken. BARBARA OERTEL