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: Zweckdienliches Wehgeschrei

Bei Verträgen kommt es aufs Kleingedruckte an und bei Urteilen auf die Begründung. Graf Lambsdorff standen die restlichen Haare zu Berg, als er die Begründung las, mit der die US-Richterin Shirley Kram die Klagen ehemals Vermögensgeschädigter gegen deutsche Unternehmen abwies. Er interpretierte das Urteil so, als sei die Entschädigung österreichischer Nazi-Opfer Bedingung für den Bestand der Klageabweisung.

Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER

Aber die gräfliche Empörung verfehlt den Kern des Urteils – genauso wie die nachgereichte Anti-Kram-Schimpfkanonade des Sprechers der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Gibowski. Denn Kram macht die Entschädigung der österreichischen Opfer nicht etwa zur Bedingung. Die Richterin sieht lediglich die Möglichkeit vor, im Fall des Scheiterns der Verhandlungen die Berechtigung zur Klage wieder aufleben zu lassen. Zudem mangelt es Gibowskis und Lambsdorffs Wehgeschrei auch an Glaubwürdigkeit. Seit Tagen lag das Memorandum des amerikanischen Opferanwalts Hausfeld auf dem Tisch. Hausfeld schlug einen Weg vor, in österreichisch-deutschem Zusammenwirken die zu kurz gekommenen österreichischen Naziopfer oder deren Erben zu entschädigen. Alle Beteiligten wussten, dass Mrs. Justice den Vorschlag von Hausfeld aufgreifen würde. Niemand schlug Alarm, also waren alle einverstanden.

Wenn man bedenkt, um wie geringfügige Summen es sich bei dem in Frage stehenden Komplex handelt, liegt der Verdacht nicht fern, dass die deutsche Seite die Forderung nach „Rechtssicherheit“ immer stärker überspannt. Es ist nicht nur unklar, welche der Klagen, die nach dem Abweisungsurteil von Kram noch anstehen, eigentlich als so wichtig angesehen werden, dass von ihrer Abweisung die Rechtssicherheit abhängt. Eine? Drei? Alle? Besteht die Gefahr, dass noch nachgelegt, dass Verfahren einbezogen werden, die nicht auf der Liste im Anhang zum Abkommen über die Errichtung der Bundesstiftung standen?

Der Bundestag muss die „Rechtssicherheit“ feststellen. Nicht die Stiftungsinitiative, nicht Graf Lambsdorff, das Parlament allein ist Herr des Verfahrens. Jetzt ist nicht Empörung angesagt, sondern juristische Finesse. Es geht um einen Weg, im Rahmen des Stiftungsgesetzes auch den zu kurz gekommenen New-Yorker Klägern Genugtung zu verschaffen – wenn nicht anders möglich, dann über die Härteklausel. Auch der Bundeskanzler ist Rechtsanwalt.

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