Übliches Telegramm

Die EU will auf keinen Fall den Österreich-Fehler wiederholen. Und Belgien ist gerade mit seiner eigenen Vergangenheit beschäftigt

Dass Prodi nichts davon hält, ein Mitgliedsland zu ächten oder gar auszuschließen, hat er nach der Österreich-Wahl gezeigt

BRÜSSEL taz ■ Das Chaos an den Wahlurnen in seinem Heimatland gab EU-Kommissionspräsident Romano Prodi eine Galgenfrist. Solange er das vorläufige Endergebnis nicht kenne, werde er sich zu den Vorgängen in Italien nicht äußern, ließ er seinen Sprecher am Montag mitteilen. Sobald der Wahlsieger feststehe, gebe es „das übliche Telegramm“.

„Das übliche Telegramm“ wird ein kurzer Glückwunsch für Silvio Berlusconi sein. Weitere Reaktionen oder gar einen Fahrplan für den Fall, dass die neue italienische Regierung europäische Grundwerte verletzt, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen sicherlich niemand in Brüssel entlocken lassen.

Seit sich die Staats- und Regierungschefs mit ihrer Spontanaktion gegen Österreich die Finger verbrannten, überlassen sie es gern wieder der Kommission, die EU-Position zum Wahlausgang in einem Mitgliedsland zu formulieren. Dass Prodi nichts davon hält, ein Mitglied zu ächten oder sogar zeitweise aus der Gemeinschaft auszuschließen, hat er nach der Österreichwahl in sehr deutlichen Worten gesagt. Die weitere Entwicklung hat ihm Recht gegeben und dafür gesorgt, dass wohl kein Mitgliedsland nun auf Drohungen aus Brüssel in Berlusconis Richtung bestehen wird.

Allein der belgische Außenminister Louis Michel wird lospoltern. Hauptsächlich versucht er so das Getöse zu überdecken, das derzeit in seinem eigenen Land tobt. Der flämische Innenminister Johan Sauwens hat sich letzte Woche dabei erwischen lassen, wie er mit SS-Veteranen Nazilieder sang. Er musste zugeben, Mitglied des Sint-Maartensfonds zu sein, der flämische ehemalige SS-Angehörige, die nach dem Krieg Ehrenrechte und Pensionsansprüche in Belgien verloren, unterstützt. Sauwens ist inzwischen zurückgetreten.

Louis Michel hat angeregt, endlich eine nationale Debatte über Belgiens damaliges Verhältnis zu Nazideutschland zu führen. Denn bis heute wird das Land durch die Tatsache gespalten, dass überdurchschnittlich viele stille Rebellen einer ebenfalls großen Gruppe eifriger Kollaborateure gegenüberstanden. Vielleicht hofft der belgische Außenminister, seine Landsleute würden bis zur Sommerpause miteinander ins Reine kommen. Dann nämlich beginnt die belgische EU-Präsidentschaft, die er gern ohne hässliche innenpolitische Schlagzeilen über die Bühne bringen würde. DANIELA WEINGÄRTNER