Jetzt will Berlusconi aufräumen

Der rechtslastige Medienunternehmer hat – fast – freie Hand: Mit der absoluten Mehrheit im Parlament kann er seine „italienische Revolution“ angehen

aus Rom MICHAEL BRAUN

Wochen-, ja monatelang war Silvio Berlusconi allgegenwärtig. Ob von den Wahlplakaten, ob aus seinem Werbebildband, on in dutzenden TV-Auftritten – vor seinem breiten Lächeln gab es kein Entrinnen. Doch dann, am Tag seines Siegs, musste Italien plötzlich ohne Silvio auskommen. Kein Kommentar, kein freundliches Winken für die Fans: Der künftige Ministerpräsident zog es vor, den Triumph still im Kreis der Lieben zu genießen.

Aber war es überhaupt ein Triumph? Eigentlich habe es bei der Wahl ja gar keine Kräfteverschiebung gegeben; wenn überhaupt, habe die Rechtskoalition um Berlusconi Stimmen eingebüßt, argumentierte Pietro Folena, der zweite Mann im Parteivorstand der Linksdemokraten. Das ist wahr und falsch zugleich. Im Senat seien die Rechtsparteien von 47,7 auf 42,5 Prozent gerutscht, rechnete Folena vor, und auch in der Kammer müsse die Berlusconi-Allianz einen Verlust von 3 Punkten auf „nur“ noch 49 Prozent hinnehmen. Das wäre eigentlich bitter für Berlusconi – wenn er nicht trotzdem in beiden Häusern des Parlaments eine klare Mehrheit eingefahren hätte. Die Rechte hat gesiegt, weil sie geeint angetreten ist, weil Umberto Bossi mit seiner Lega Nord ins „Haus der Freiheiten“ zurückgefunden hat. Und die Linke hat verloren, weil sie sich spaltete: Der „Ölbaum“ kam in der Kammer nur auf 35 Prozent – und es nützt nichts, im Nachhinein die Stimmen der Kommunisten (5 Prozent) und des ehemaligen Antikorruptionsermittlers Antonio Di Pietro (4 Prozent) zu addieren, um im Nachhinein das Ergebnis schönzurechnen.

Umso deutlicher fällt das Mandat für Berlusconi aus, als er allein in seiner Koalition den Sieg für sich reklamieren kann. Sein ureigenstes Geschöpf Forza Italia trug im Abgeordnetenhaus fast 30 Prozent davon (1996: 20 Prozent), während die anderen Bündnispartner durch die Bank kräftige Verluste einstecken mussten: Die postfaschistische Alleanza Nazionale (1996: 15,7) büßte 4 Punkte ein, die Lega Nord rutschte von gut 10 auf 4 Prozent, und die Christdemokraten halbierten sich auf nur noch 3 Prozent. Niemand der Partner wird Berlusconi in den nächsten Jahren ernsthaft die Führungsrolle bestreiten können. Die einzige Ungewissheit besteht in dem Störpotenzial, das Umberto Bossi sein könnte: Gestern Nachmittag war noch nicht klar, ob Berlusconi auch ohne die Abgeordneten der Lega Nord eine Mehrheit zusammenbringt.

Wozu er diese Mehrheit nutzen wird, hat Berlusconi im Wahlkampf den Bürgern immer wieder wortreich erklärt. Er werde handeln statt Worte zu machen, er werde eine „italienische Revolution“ ins Werk setzen, die Staat, Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern werde. Die Wahlkampfversion dieser Revolution allerdings, in der keiner den Schaden und alle den Nutzen hatten, wird der neue starke Mann des Landes schnell zu den Akten legen. Neoliberalismus in sozialem Gewand hat er angekündigt, drastische Steuersenkungen bei Erhöhung der Mindestrenten, Aufweichung des Kündigungsschutzes bei größerer Arbeitsplatzsicherheit, Teilprivatisierung des Gesundheitswesens bei höherem Schutz der Bedürftigen.

Auf welche Seite sich Berlusconi in diesen Widerspruchpaaren schlagen wird, ist unschwer zu erraten. Italien steht im Bereich Wirtschaft und Soziales eine neoliberale Wende bevor. Wie schon 1994 dürfte die Rechtskoalition etwa schnell eine Steuersenkung für Hochverdiener und Unternehmer sowie die vollkommene Abschaffung der Erbschaftssteuer (mit einem abzusehenden Ertrag für Familie Berlusconi in Höhe von einer Milliarde Mark) beschließen; die Rentenerhöhung muss dann leider wegen „Brüssel“, Stabilitätspakt und anderen Sachzwängen warten.

Doch Italiens Rechte hat mehr vor, als nur mit gewerkschaftlichen und sozialen Errungenschaften aufzuräumen. Auch für die Staatsapparate ist „Reform“ angesagt, begonnen bei einem der Herzensanliegen Berlusconis: bei der Justizreform. Dass Prozesse – die in Italien gerne auch zehn Jahre dauern – beschleunigt werden müssen, leuchtet vielen ein. Dass aber in Zukunft die unabhängig agierenden Staatsanwaltschaften an die Kette der Exekutive gelegt werden sollen, mag wohl auch mit den ganz privaten Problemen zu tun haben, die Berlusconi und diverse seiner Mitarbeiter mit der Justiz haben.

Ähnliches gilt für die Reform einer anderen „Behörde“ – der bisher in Staatseigentum befindlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt RAI. Berlusconi hat die Privatisierung von zwei der drei RAI-Fernsehkanäle angekündigt. Anders als auf dem Feld der Justiz sollte hier aber nicht mit zu heftigem Reformeifer gerechnet werden; schließlich kann der Politiker Berlusconi die staatliche RAI einerseits besser und direkter kontrollieren, während andererseits deren Privatisierung seinem eigenen Sender Mediaset einen gefährlichen Konkurrenten im Kampf um den Werbekuchen bescheren würde.

Die Krönung seines Reformwerkes schließlich sieht der Mann, der in Napoleon-Pose und als „presidente“ seinen Wahlkampf führte, aber im Umbau der italienischen Verfassung. Hier schwebt ihm die Einführung einer Präsidialrepublik vor, um die Macht der Exekutive gegenüber dem Parlament deutlich zu stärken – damit wäre die Abkehr vom bisherigen, stark auf breiten Konsens zwischen Regierung und Opposition orientierten Parlamentarismus italienischer Prägung vollzogen.

Die Rechte hat schon angekündigt, auf allen Feldern schnell zur Tat schreiten zu wollen. Mit gutem Grund: Es gilt, die unweigerliche Krise der Mitte-links-Opposition auszunutzen. Zwar darf sich Francesco Rutelli gestärkt sehen, da das unter ihm versammelte Bündnis der vier Mitte-Parteien mit 15 Prozent überraschend gut abschnitt. Doch dieses Votum – das sich einzig Rutellis Popularität verdankt – ändert nichts daran, dass seine „Margeritenliste“ vier einander eifersüchtig belauernde Minigruppierungen nur sehr provisorisch vereinigt hat. Verschärft wird die Krise der „Ölbaum“-Allianz durch die Schlappe der Linksdemokraten, die von 21 auf 16 Prozent abrutschten und in den nächsten Monaten mit ihrer Identitäts- wie auch mit einer Führungskrise ausgelastet sein werden – schöne Zeiten also für Berlusconi und seinen „italienischen Traum“.