Europas Rechte hat einen neuen Führer

Nach dem Wahlsieg Silvio Berlusconis in Italien wittern Europas Konservative Morgenluft. CSU sieht „sozialistische Vorherrschaft“ bröckeln. Italiens Rechte erreicht die absolute Mehrheit

BERLIN/ROM/PARIS taz ■ Europas Konservative haben seit gestern einen neuen Hoffnungsträger. Der italienische Multimilliardär Silvio Berlusconi hat vorgemacht, dass die Rechte in Europa noch Wahlen gewinnen kann. Nach dem amtlichen Endergebnis verfügt Berlusconis Parteienbündnis „Pol der Freiheiten“ in beiden Häusern des Parlaments über eine absolute Mehrheit.

CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer wertete das Wahlergebnis als einen Beweis dafür, dass „links geführte Regierungen in Europa abgelöst werden“. Auch der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos, sieht nun „die sozialistische Vorherrschaft in Europa bröckeln“. Die ersten offiziellen Glückwünsche für Berlusconi kamen gestern aus Spanien, dem einzigen großen Land in der Europäischen Union mit konservativer Regierung.

Die europäische Linke hielt sich mit Stellungnahmen eher zurück. Schwedens Premier Göran Persson, Sozialdemokrat und amtierender EU-Ratspräsident, schloss im Falle Italiens sofortige Sanktionen wie gegen Österreich aus. Man werde die beim Gipfel in Nizza vereinbarten Regularien einhalten und nicht wieder „überstürzt“ handeln. Auch der französische Außenminister Hubert Védrine sprach sich gegen Sanktionen aus. „Die Bevölkerung Italiens hat sich demokratisch entschieden“, sagte Védrine. Ministerpräsident Lionel Jospin rief zu „besonderer Wachsamkeit“ auf.

Deutlicher noch wurde der sozialistische französische Parlamentspräsident, Raymond Forni: „In Italien bringt die Demokratie Ergebnisse, die man nicht von ihr erwartet: Sie führt Leute und Parteien zum Sieg, für die die Demokratie, wie es scheint, nicht ein Ziel an sich, sondern ein Mittel ist“, sagte er.

In Deutschland tröstet sich die SPD nach den Worten von Generalsekretär Franz Müntefering damit, dass „der große Erdrutsch, der den Olivenbaum verschüttet hätte, nicht stattgefunden“ habe. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Gert Weisskirchen, hofft auf ein baldiges Scheitern Berlusconis.

Nach dem Auszählungsstand von gestern Nachmittag kam das Berlusconi-Bündnis im italienischen Senat auf mindestens 161 der 315 zu bestimmenden Mandate. Der „Olivenbaum“ mit dem Spitzenkandidaten Francesco Rutelli kam auf mindestens 119 Sitze. Auch in der Abgeordnetenkammer zeichnete sich eine absolute Mehrheit für Berlusconis „Pol der Freiheiten“ ab. Allerdings fiel das Ergebnis in beiden Fällen knapper aus, als es die Umfragen vorausgesagt hatten. Berlusconis eigene Partei „Forza Italia“ kam auf rund 28 Prozent der Stimmen, während sein Bündnispartner Lega Nord starke Verluste hinnehmen musste.

Die Wahlen standen im Zeichen eines beispiellosen Organisationschaos. Weil Innenminister Enzo Bianco die Zahl der Urnen aus Kostengründen um ein Drittel reduziert hatte, bildeten sich vor den Wahllokalen lange Schlangen. Dort durfte dann weit über die offizielle Schließung um 22 Uhr hinaus gewählt werden. Erst mehr als sechs Stunden später konnte im kalabrischen Réggio der letzte Wähler seinen Stimmzettel in die Urne werfen. Zu diesem Zeitpunkt flimmerten längst die ersten Umfragen zum Wahlausgang über die Fernsehschirme. RAB

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