Den Hass ungefiltert weitergeben

Hildegard Schmahl spielt in Lohers „Der Dritte Sektor“ am Thalia ihre letzte Hamburger Rolle  ■ Von Petra Schellen

Ihre Augen passen genau zum moosgrünen Sofa. Oder hat sie sich extra zum verwaschenen Gaußstraßenstoff passende Kontaktlinsen besorgt? Unsinn, nebensächlich das alles, und außerdem wird Hildegard Schmahl, die jetzt ihre letzte Hamburger Premiere gibt, bald sowieso auf anderen Sofas sitzen: Zum 1. September wechselt die 1940 geborene Schauspielerin zu Frank Baumbauer an die Münchner Kammerspiele. Einen neuen Abenteuerschritt wagt die gebürtige Hamburgerin, die jetzt, da vieles schon gespielt ist, ganz aufhören, aber genauso gut nochmal neu anfangen könnte.

Der Dritte Sektor heißt ihr letztes Hamburger Stück – die Uraufführung eines weiteren Werkes Dea Lohers, die mit Klaras Verhältnisse zu Beginn dieser Spielzeit schon einmal am Thalia vorgestellt wurde und seit langem mit Andreas Kriegenburg zusammenarbeitet, der von der kommenden Spielzeit an fester Regisseur am Thalia sein wird. Den Dienstleistungssektor meint Loher mit dem „dritten Sektor“ – ein merkwürdiges Zusammentreffen, wenn man bedenkt, dass Hildegard Schmahl, die mit der Martha eine der beiden Hauptfiguren spielt, auch gerade im Begriff ist, den Chef zu wechseln.

Zwei verbiesterte Greisinnen – Anna und Martha – stehen im Zentrum des Stücks, eventuell entfernt ähnlich jenen beiden Damen ihrer Heimatstadt, denen Loher das Stück gewidmet hat. „Sie ist bewundernswert, die Lebendigkeit, aber auch die Boshaftigkeit der beiden Greisinnen“, bekennt auch Hildegard Schmahl, die gar nicht über die alten Frauen – Opportunistin die eine, mitgelaufende Sozialrevolutionärin die andere – urteilen will: „Man muss immer fragen, warum Menschen so geworden sind“, sagt Hildegard Schmahl versonnen – eine Haltung, die auf Lebenserfahrung beruht: „Während des Zweiten Weltkriegs zum Beispiel habe ich gesehen, wie das Elend, der Zwang zu überleben, manche Leute vor Überforderung bitter machte.“

Bitter und stetig einander verletzend wie Lohers Greisinnen, die keinen anderen Ausweg wissen, als selber böse zu werden. „Sie geben die Unterdrückung, die sie durch ihre Chefin erfahren haben, ungefiltert an eine weiter, von der sie glauben, dass sie noch weiter unten steht – die afrikanische Putzfrau Xana. Sie quälen aber auch einander und schaffen einfach keine andere Verhaltensqualität“, sinniert Schmahl. „Angesichts solcher Charaktere kann man nur noch lakonisch sagen, so seid ihr also, jetzt. Man kann anhand dieses Stücks scharf beobachten, wie schwer Menschen von ihren Fesseln loskommen.“ Ein Aspekt, den das Theater, findet Hildegard Schmahl, grell beleuchten sollte – auch in unserer Zeit, in der alle sich so fesselfrei wähnen.

Und ihre eigene schlimmste Fessel? Hildegard Schmahl schaut blitzschnell auf ihre Füße, und ihr fällt, das kann man sehen, sehr wohl was ein. Sie sagt es aber nicht: „Weiß nicht“, schmunzelt sie nur. Sie gehören ja auch der Vergangenheit an, eventuelle Hamburger Fesseln, jetzt, da sie bald gen Bayern reist. Zwölf Jahre hat sie in Hamburg verbracht, ist „dankbar für alles Gute, das mir auch vom Publikum widerfahren ist“. Und es ist auch nicht die Stadt, die sie zum Weggang nötigt. Es seien vielmehr die breiter gestreuten Entfaltungsmöglichkeiten, die ein sich neu bildendes Ensemble wie das der Münchner Kammerspiele biete. Möglichkeiten, „sich seinen Platz nochmal neu zu erobern, indem von Anfang an dabei ist“.

Und vielleicht kann man zu widerlegen versuchen, was inDea Lohers Stück aufscheint: dass Menschen aufgrund ihrer Lebensumstände zwangsläufig werden, wie sie sind und dass sie sich auch dann nicht ändern, wenn plötzlich Freiheit eintritt: Denn wenn im Dritten Sektor der Mord an der Chefin – sie dümpelt in unbestimmtem Aggregatzustand in der Kühltruhe dahin – gelungen wäre, müssten sich die beiden Damen ohne Herr-Knecht-Verhältnis neu definieren. „Die eigentliche Frage lautet doch: Was bleibt von mir, wenn ich frei bin? Bin ich erleichtert oder erschrecke ich mich, weil ich gar nicht weiß, wohin mit mir?“

Doch an welchen Geländern sich etwa der westliche Nachwende-Mensch festhält, ob er sich Ideale in der Vergangenheit sucht oder sie aus der Gegenwart heraus neu zimmert – das beantwortet Hildegard Schmahl nicht. Muss und will sie auch nicht. Sie stellt ohnehin lieber Fragen.

Premiere heute, 20 Uhr, Thalia Gaußstraße 190