NOK soll haften

Die ehemalige Schwimmerin Karen König will als erstes DDR-Dopingopfer das Nationale Olympische Komitee auf Schadenersatz verklagen

von FRANK KETTERER

Das Schriftstück mit dem Aktenzeichen 2/31O158/01 soll in diesen Tagen zugestellt werden. Absender wird das Landgericht Frankfurt sein, Empfänger das Nationale Olympische Komitee für Deutschland. Es ist ein Schriftstück mit unerfreulichem Inhalt, denn Aktenzeichen 2/31O158/01 handelt von der DDR und von Sport – und von der Art, wie der Sport in dieser DDR getrieben wurde. Es geht also um Doping und um jene, die es verabreicht bekamen, nicht selten schon im Kindesalter und ohne eigenes Wissen und Zutun. Und es geht um die Folgen, die den Kindern des DDR-Doping-Sports heute, im Erwachsenenalter, das Leben zur Qual machen, weil sie leiden an den Schäden, die all die Mittel an Körper und Seele hinterlassen haben. Durch Aktenzeichen 2/31O158/01 teilt Karen König, zu DDR-Zeiten Schwimm-Europameisterin und heute das, was man Dopingopfer nennt, mit, dass sie das NOK für all das auf Schadenersatz verklagen möchte.

Es ist dies das erste Mal, dass eine ehemalige Sportlerin das im Oktober 1990 wiedervereinigte NOK für die Spätfolgen des DDR-Zwangsdopings juristisch in die Pflicht nehmen will. „Es geht dabei nicht um einen einzelnen Racheakt“, sagt Karen König, „es geht um Aufklärung.“ Und darum, dass sich endlich jemand zuständig fühlt, fühlen muss, dafür, dass sie und zahlreiche weitere Sportlerinnen aus der DDR auch nach all den Jahren nach dem Sport kein normales Leben führen können. Hautveränderungen, Stimmvertiefung und Depressionen sind es bei Karen König; und es ist noch nicht einmal zynisch, wenn man sagt, dass die 32-Jährige damit vom Schlimmsten bisher noch verschont geblieben ist. Bei anderen Dopingopfern geht es um Bulimie, um Fehlgeburten, um Krebs.

In Zweifel gezogen werden kann die Kausalität zwischen all dem Doping und all diesen Schäden schon lange nicht mehr. Sie war Gegenstand der Berliner Dopingprozesse, an deren Ende vor einem Jahr Manfred Ewald und Manfred Höppner, die Initiatoren und Hauptverantwortlichen des Staatsdopingbetriebs DDR, verurteilt wurden. Andere Fragen blieben damals ungeklärt: Wer kann für all die Schäden, elf Jahre nach dem Ende der DDR, zur Verantwortung gezogen werden? Wer ist in juristischem Sinne schadenersatzpflichtig? Staat und Sportverbände tauchten in der Vergangenheit schnell ab, wenn die Rede auf solche Dinge kam, das NOK machte da keine Ausnahme.

Karen König will die Sache nun endgültig geklärt haben. Auf elf Seiten begründet ihr Rechtsanwalt Jens Steinigen, ein ehemaliger Biathlet, den die in Paris lebende Literaturwissenschaftlerin am Rande der Dopingprozesse kennen gelernt hat, in seiner Klageschrift, warum er und seine Mandantin das gesamtdeutsche NOK für schadenersatzpflichtig halten. Hauptangriffspunkt Steinigens dabei ist, dass das bundesdeutsche NOK sich bei der Vereinigung bereitwillig das Vermögen des DDR-NOK einverleibt hat, satte 5,4 Millionen Mark wanderten damals ziemlich flott auf das Konto des seither gesamtdeutschen NOK. Vielleicht zu flott, denn genau daraus könnte dem NOK nun ein teurer Strick gedreht werden. Von gesetzlich angeordneter Schuldmitübernahme sprechen Juristen in Fällen wie diesem, was nichts anderes bedeutet als: Mit den Millionen hat das gesamtdeutsche NOK auch die Verbindlichkeiten des DDR-NOK übernommen. Diese, so weist Steinigen zudem nach, beinhalten auch die Haftung für all die Dopingschäden, die Manfred Ewald zu verantworten hat: Das für diesen Fall noch gültige DDR-Recht nämlich kennt keine Verantwortlichkeit für Schäden, die Einzelpersonen „in Erfüllung ihnen obliegender Aufgaben“ verursacht haben, sondern schiebt diese weiter an die jeweilige Organisation. Haftungsüberleitung nennt sich das, was zur Folge hat, dass das DDR-NOK für die Taten seines Präsidenten haftet. Der hieß viele Jahre Manfred Ewald.

Ob und wann die Klage von Karen König zugelassen wird, steht noch nicht fest. Derzeit läuft ein Antrag auf Prozesskostenhilfe, in dessen Rahmen sich auch das NOK zum Klageentwurf wird erklären müssen. Danach werden die Richter der 31. Zivilkammer des Frankfurter Landgerichts prüfen, ob die Klage prinzipiell Aussicht auf Erfolg hat. Davon ist Jens Steinigen naturgemäß schon jetzt überzeugt. „Sonst“, sagt der Rechtsanwalt, „hätten wir das ja nicht gemacht.“