Mit RTL auf den elektrischen Stuhl

Wie ein fiktives Drama von der Wirklichkeit überholt wird: „Todesstrafe – Ein Deutscher hinter Gittern“ (20.15 Uhr, RTL)

„Das kann jedem Deutschen passieren, der hier Urlaub macht.“ Nach einer Stunde erst fällt dieser Satz, aber spätestens dann weiß der Zuschauer, dass ein Trip in die USA kein Sonntagsausflug ist.

Diese wohltemperierte Panikmache, die in der ansonsten für RTL-Verhältnisse sehr zurückhaltend inszenierten Produktion „Todesstrafe – Ein Deutscher hinter Gittern“ betrieben wird, wäre nicht nötig gewesen. Denn auch ohne den Appell an die Urängste des deutschen Urlaubers, der im Ausland Leib und Wohlstand in Gefahr sieht, hat sich das Justizdrama um einen zum Tode verurteilten Touristen zu einem wahren Thriller entwickelt. Die Wirklichkeit wirft hier bedrohliche Schatten. Und das in einem Maße, wie es dem ansonsten wenig zimperlichen Sender kaum lieb sein kann. Wie am Montag die Süddeutsche Zeitung berichtete, wird RTL-Chef Gerhard Zeiler mit zwei Unterlassungsklagen konfrontiert: Die eine stammt von einem Dokumentarfilmer, der in der RTL-Produktion Motive eines von ihm erstellten Exposees ausmacht und so seine Urheberrechte verletzt sieht. Die andere und brisantere wurde angestrengt von den Anwälten Dieter Riechmanns, jenem Deutschen, der in den USA wegen Mordes an seiner Freundin zum Tode verurteilt wurde. Die amerikanischen Verteidiger streben, nachdem neue entlastende Beweise aufgetaucht sind, eine Wiederaufnahme des Falles an. Durch die Ausstrahlung der TV-Produktion mit ihren Parallelen zum Fall Riechmann sehen sie die Neuverhandlung gefährdet: Die Richter könnten sich beeinflussen lassen.

Tatsächlich mag es sich negativ auf den Fall auswirken, dass die Filmfiguren nach RTL-Maßstäben bis zum Schluss ungewöhnlich ambig gehalten sind. Die Todesstrafe wird radikal verurteilt, aber die Schuldfrage letztendlich nicht geklärt. In seiner Grundaussage hält sich das Gerichtsdrama an Krzysztof Kieslowskis radikal humanistische Studie „Ein kurzer Film über das Töten“, die staatlich überwachte Tötung als barbarischen Akt beschreibt. Das hebt „Todesstrafe“ aus dem einfältigen RTL-Allerlei heraus.

Aber auch das Flehen von Riechmanns Familie, die sich in zwei von der Süddeutschen Zeitung lancierten Briefen an die Leitung des Privatsenders wendeten, mochte RTL-Boss Zeiler nicht nachvollziehen, Motiv, Ort und Tathergang wichen doch erheblich von dem echten Fall ab, ließ er erklären. Da ist es wohl nur ein komischer Zufall, dass sowohl die Hauptfigur des Fernsehspiels als auch der real Abgeurteilte dieselbe Vergangenheit im Rotlichtmilieu teilen und dass bis vor kurzem massiv mit dem Hinweis auf das Schicksal Dieter Riechmanns geworben wurde. Überhaupt ist Zeiler nicht bereit anzuerkennen, dass sich ein US-Gericht bei der Prüfung der Faktenlage von filmischer Fiktion beeinflussen lassen könnte.

Diese Ignoranz ist ungeheuerlich. Zumal in „Todesstrafe“ eben jene Missstände der amerikanischen Rechtspraxis aufgezeigt werden, die Zeiler nicht wahrhaben mag. So wird in dem Film wirkungsvoll die Medialisierung des Falles geschildert – bis hin zum Gnadengesuch, das der Gouverneur aus Imagegründen ablehnt: Kurz vor der Wahl macht sich hartes Durchgreifen besser. Dass die Beziehung zwischen dem zwielichtigen Todeskandidaten (Jan Josef Liefers) und einer deutschen Reporterin (Claudia Michelsen), die aus dem Todestrakt berichten soll, ans Exekutionsdrama „Dead Man Walking“ erinnert, geht in Ordnung. CHRISTIAN BUSS