Und wer kommt? Westerwelle

Es geht einfach nichts über Big Brother, Klatsch und emanzipierte Zuschauer

Am Schluss waren die Quoten miserabel und sogar das tapfere Restpublikum von Big Brother hat sich gelangweilt. Forscher haben jetzt die Gründe dafür analysiert und herausgefunden, dass die letzten Kandidaten öde waren und der Sendung die Dramaturgie fehlte. 13-Jährige sind ganz ohne wissenschaftliche Hilfsmittel zu demselben Ergebnis gekommen. Leider.

Goldene Zeiten der ersten Staffel! Damals war meine Tochter sogar zum Frühstückmachen bereit gewesen, wenn sie nur die Sendung sehen durfte. Schon bei der zweiten Staffel kehrte sich das Verhältnis um. In ihrem Freundeskreis war das Thema durch. Jetzt war ich diejenige, die Zugeständnisse machte, um ihre Gesellschaft vor dem Fernseher zu erkaufen. „Weißt du, was ich an dir besonders liebe?“, fragte der angehende Teenie, und die Mutter verneinte erwartungsvoll. „Dass du so bestechlich bist.“

Hoffnungslose Pädagogik, schon klar. Aber ich war halt süchtig, und Junkies vereinsamen. Die Erwachsenen in meiner Umgebung hatten die Sendung allenfalls ein- oder zweimal gesehen. Um mitreden zu können. Das war unsinnig, denn Interesse für die Leute im Container konnten nur regelmäßige Zuschauer entwickeln, aber trotzdem haben dann alle mitgeredet. Nie zuvor hat die plappernde Mediengesellschaft so offensiv die Überzeugung vertreten, man müsse über ein Thema nichts wissen, um dazu eine Meinung zu haben.

Manche Leute haben von dieser Ahnungslosigkeit der gebildeten Stände profitiert. Der FDP-Politiker Guido Westerwelle zum Beispiel. Attacken gegen seinen Kurzbesuch im Container pariert er bis heute mit der Behauptung, er habe doch immerhin mit den Bewohnern über das Problem des Rechtsextremismus diskutiert. Das ist nicht wahr. Westerwelle hat es zwar versucht, aber die Kandidaten wollten sehr viel lieber Einzelheiten über die Formel 1 erfahren. Informationen über Angriffe auf Synagogen wurden höflich, aber bestimmt mit der Frage abgewehrt, ob der Gast einen weiteren Cocktail wünsche.

Das spricht nicht gegen das politische Interesse der Bewohner, sondern für deren gute Erziehung. Denn der Besucher bedeutete für sie zweifellos eine bittere Enttäuschung. „Da hoffen sie auf jemanden wie Verona Feldbusch – und wer kommt? Guido Westerwelle.“ Während der zweiten Staffel war meine Tochter noch bereit gewesen, gelegentlich Mitgefühl für die Bewohner aufzubringen. Bei der dritten Staffel war es auch damit vorbei: „Es ist mir völlig egal, was du bietest. Ich schau mir das nicht mehr an. Viel Spaß noch.“ Ende einer Jugendkultur. Genau das war Big Brother nämlich – solange es funktionierte.

Die Bedeutung des Fernsehens im Alltag der Jugendlichen wächst, auch wenn Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf das missbilligt. Das heißt aber nicht, dass sie die Rolle der ausschließlich passiven Rezipienten zufrieden stellend finden. Das große Interesse, das die erste Form des interaktiven Fernsehens fand, weist auch auf ein emanzipatorisches Bedürfnis hin. Die Produktionsfirma hat das nicht etwa geplant – ganz im Gegenteil. Der wahre Reiz von Big Brother bestand darin zu beobachten, wie es den Zuschauern gelang, wieder und wieder den Masterplan von Endemol zu durchkreuzen.

Augenfälligstes Beispiel: Gegen Ende der ersten Staffel haben die Produzenten allzu plump versucht, für ihren Wunschsieger zu werben. Die Zuschauer leisteten Widerstand. Sie wählten den Konkurrenten, und das geschah nicht zufällig. Diskussionsforen im Internet bewiesen, dass ein großer Teil der Zielgruppe die Absichten der Programmgestalter durchschaute. Und sich darüber lustig machte. Ich halte das für einen großen Fortschritt gegenüber der „Schwarzwaldklinik“. Wer derlei belanglos findet, hat sich noch nie danach gesehnt, die subtile Manipulation kaputtzutrampeln, die von Drehbüchern der täglichen Seifenopern ausgeht.

Endemol hat versucht, die Herrschaft zurückzuerobern – und zugleich Geld zu machen. Mit der willkürlichen Veränderung der Regeln, mit der Begrenzung der möglichen Live-Beobachtung im Internet, mit grotesk hohen Telefongebühren für Anrufer. Am Schluss musste die Produktionsfirma mangels Quote die Werbepreise senken. Klasse. Bei dieser Gelegenheit noch ein Wort zur angeblichen Verletzung der Menschenwürde: Auch ohne Kameras benehmen sich Leute gelegentlich so, dass es ihnen hinterher peinlich ist oder doch sein sollte, und sie können ihrer Umgebung dann ebenfalls nicht entfliehen. Mehr ist im Container auch nicht passiert.

Natürlich hat die Sendung auch das Klatschbedürfnis bedient. Na und? Kürzlich sagte jemand zu mir, er finde Klatsch einfach nicht interessant, auch wenn er damit kein moralisches Werturteil verbinden wolle. Ich habe fünf Minuten gebraucht, um ihn zu offenkundig lustvoller übler Nachrede zu veranlassen. Zu seinem eigenen Missfallen hat ihm das ziemlich viel Spaß gemacht.

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