DIE SPD HAT SCHWIERIGKEITEN MIT DER EINWANDERUNG
: Rücksicht auf das Milieu

Landauf, landab mag mittlerweile die Erkenntnis gewachsen sein, dass die Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturen gefördert werden muss. Beliebt ist das Thema damit aber bei den Wählern noch lange nicht. Die Politiker aller Parteien versuchen daher mühsam, die Ängste rhetorisch aufzufangen. CDU und CSU wählten wohlweislich den Trick, das Wort Zuwanderung in ihrem Programmpapier mit dem Zusatz „Steuerung und Begrenzung“ zu versehen. Die SPD streut ihr Leitbild vom beginnenden „Jahrzehnt der Integration“. Der Fremde ist gar nicht fremd, sondern wird ganz schnell so wie wir – ist die nicht besonders subtile Irreführung.

Die Ängste vieler Deutscher mögen irrational und diffus sein. Sie lassen sich aber nicht ignorieren. Das kann sich höchstens erlauben, wer darauf vertraut, dass seine Wählerschaft liberale Zuwanderungsregelungen honoriert – wie immer noch weit gehend bei den Grünen. Bei der SPD löste das Thema Zuwanderung jedoch noch nie den großen Überschwang aus, glaubte man noch nie so recht an die multikulturelle Gesellschaft.

Das wissen die Grünen, die bemüht sind, das Thema nicht allzu stark nach vorne zu schieben. Auch sie ahnen: Das Thema Zuwanderung sichert keinen Wahlerfolg. Nunmehr beschränken sie sich auf das Nächstliegende: Bis 2002 soll wenigstens der Einstieg in die Zuwanderungsgesellschaft gelingen; und schon in dieser Wortwahl „Einstieg“ drückt sich die neue Bescheidenheit der Ziele aus. Wie er aussehen wird – ob er nur für Höchstqualifizierte gilt, ob er in Etappen vor sich geht, mit Quoten versehen –, das werden erst die kommenden Monate zeigen.

Die Rücksicht der Grünen auf die SPD ist auch der Einsicht geschuldet, dass der Partner vor einer großen Aufgabe steht. Weil dort der Kanzler das Thema bislang auf technokratische Regelungen wie die Green Card beschränkte, muss die Partei nun umso behutsamer vorgehen, um die Zuwanderung von einigen Zehntausenden pro Jahr möglich zu machen. Denn bei den SPD-Mitgliedern spiegeln sich immer noch jene Milieus, die bei den Grünen kaum oder gar nicht vorhanden sind: Angestellte, Arbeiter, Facharbeiter. Die Sorgen vor tariflicher Aushöhlung, vor einer Vernachlässigung der inländischen Bildungskapazitäten (und zwar sowohl bei Deutschen und Migranten), vor der EU-Osterweiterung sind dort keine akademischen Probleme. Hier fragt man zuallererst nach dem Preis, der für die Zuwanderung zu zahlen ist. Ihn so niedrig wie möglich zu halten, das wird das Ziel der SPD sein. SEVERIN WEILAND