Streng geheime SPD-Zuwanderung

Ende dieser Woche trifft sich erneut eine Arbeitsgruppe der SPD, um über Integrations- und Zuwanderungsmaßnahmen zu beraten. Dem resoluten Fraktionsvize Ludwig Stiegler ist es zu verdanken, dass bislang kaum ein Wort nach außen drang

von SEVERIN WEILAND

Zwei Tage hatte die SPD-Arbeitsgruppe „Zuwanderung und Integration“ in Berlin zusammengesessen. Anfang der Woche sollten, wie zunächst versprochen, Auszüge der Presse vorgestellt werden. Doch dann wurde der Termin plötzlich verschoben. Man sei nicht fertig geworden, meinte eine Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion entschuldigend. Nun treffen sich die Genossen diesen Freitag erneut in Berlin, um an ihrem umfangreichen Papier weiterzuarbeiten.

Wie immer wird der Kreis, in dem Rechts- und Innenpolitiker der Fraktion, Abgeordnete aus dem Europaparlament, SPD-Vertreter aus Ministerien der Länder und des Bundes und Experten der Friedrich-Ebert-Stiftung zusammenkommen, streng abgeschirmt tagen. Fraktionsvize Ludwig Stiegler hat geschafft, was in der Medienrepublik Berlin fast unmöglich schien: Bislang ist, bis auf wenige Sätze des Fraktionsvizes selbst, kein Wort aus der immerhin zeitweise rund 30-köpfigen Runde herausgedrungen. „Wenn ich Ihnen was erzählen würde, bekäme ich mächtig Ärger“, sagte ein Mitglied unlängst der taz.

Die Selbstdisziplin, die der resolute Bayer Stiegler seinen Genossen verordnet, hat einen handfesten Grund: Man fürchtet Wählereinbußen, sollte die Zuwanderung zum zentralen Thema werden. Welchen Stellenwert es einnimmt, zeigt nicht zuletzt ein hochrangiges Treffen vor rund zwei Wochen in Berlin: Da kamen Bundeskanzler Gerhard Schröder, Kanzleramtschef Frank Walter Steinmeier, Bundesinnenminister Otto Schily und Stiegler in trauter Runde zusammen, um das in den Augen der führenden Genossen heikle Thema zu besprechen.

Die Zurückhaltung, mit dem die SPD das Thema behandelt, ist seit dem Sommer vergangenen Jahres zu beobachten, nachdem Schröder mit seiner Green-Card-Regelung eine pragmatische Regelung versucht hatte. Doch unversehens wurde aus einer zunächst technischen Regelung eine gesellschaftliche Debatte über Zuwanderung im Allgemeinen. Die SPD als Partei kam darin nicht vor. Stattdessen übertrug Bundesinnenminister Schily das komplexe Thema der Zuwanderungskommission unter Rita Süssmuth (CDU). Seitdem gibt SPD-Generalsekretär Franz Müntefering bei jedem öffentlichen Auftritt die Linie vor, so zuletzt am Montag dieser Woche nach der Präsidiumssitzung: Man werde die Vorstellung der Ergebnisse der Süssmuth-Kommission am 4. Juli abwarten, anschließend ein eigenes Konzept vorlegen, sodass es dann im Herbst zu gesetzgeberischen Maßnahmen kommen könne.

Welcher Art diese Maßnahmen sein werden, bleibt ebenso vage wie Münteferings Wortwahl. Nur aus manchen Äußerungen der Grünen, wie zuletzt der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck, lässt sich heraushören, dass mit einem Einstieg in eine Zuwanderungsregelung zumindest für Wirtschaftsmigranten gerechnet wird. Fraktionsvize Stiegler, ansonsten bislang zu keinem Interview in der Sache zu bewegen, ließ sich am Wochenende immerhin mit einem Satz öffentlich in einer Nachrichtenagentur vernehmen, der die Stoßrichtung eines solches Gesetzentwurfs erahnen lässt: einen Bedarf bei der Zuwanderung sehe man nur bei Höchstqualifizierten.

Und als CDU und CSU ihr Papier präsentierten, stach in der schriftlichen Erklärung von SPD-Generalsekretär Müntefering ein Satz besonders ins Auge: „Die Priorität der Qualifizierung inländischer Bevölkerung ist zu gewährleisten.“ Die Bemerkung fügt sich ein in die Gesamtkampagne, mit der die SPD-Zentrale beharrlich den Wahlkampf vorbereitet. Am Donnerstag wird Müntefering ein Buch mit dem Titel vorstellen, der den Menschen die Ängste nehmen soll – wohl auch vor der Zuwanderung: „Sicherheit im Wandel“.

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