Konsumieren, bis alle Konten leer sind

Fachtagung der GAL: Lebensbedingungen machen Crack-Raucher aggressiv  ■ Von Elke Spanner

Sichtbar ist das Problem rund um den Hauptbahnhof. Dort hält sich die größte offene Drogenszene Hamburgs auf. Doch nicht allein dort wird immer mehr aufgekochtes Kokain – Crack – geraucht. „Es gibt auch Crackkonsum unter integrierten Gruppen wie beispielsweise bei Beschäftigten in der New Economy“, stellte Professor Michael Krausz, stellvertretender ärztlicher Direktor der Psychiatrie am UKE, gestern auf einer Fachtagung der GAL-Bürgerschaftsfraktion zum Thema „Crack – Steine des Anstoßes“ fest.

Auch der Kriminologe Wolf Kemper bestätigte, dass sich in Hamburg mehrere Szenen herausgebildet haben. Mitte der neunziger Jahren wurde das mit anderen Chemikalien gepanschte Kokain vor allem von älteren Junkies geraucht, die mit Methadon substituiert wurden und auf den Kick nicht verzichten wollten. Dann probierten es immer mehr Jugendliche aus, die sich vom Hauptbahnhof angezogen fühlten, zuvor aber kein Heroin genommen hatten. Mittlerweile sei auch zu beobachten, dass Crack im Rotlichtmilieu von St. Pauli die Runde macht. Freier könnten dort nicht nur Sex, sondern Sex zusammen mit Crack kaufen.

Außerdem werden die sogenannten „Steine“ von sozial unauffälligen ArbeitnehmerInnen zu Hause geraucht. „Das sind Leute, die nicht erkannt werden wollen“, sagte der Kriminologe, „die konsumieren, bis alle Konten auf null sind.“ Er warnte jedoch davor, den Konsum deshalb als gesellschaftlich adäquat zu entdramatisieren: „Ich gehe davon aus, dass jeder irgendwann sein Problem bekommt.“ Mit der Zeit würden die Leute immer egoistischer, so dass soziale Bindungen zerrissen und den KonsumentInnen Vereinsamung drohe.

Obwohl auch die Polizei Erkenntnisse über Crack als Feierabend- oder Partydroge hat, trat der Leiter der Revierwache 11 in St. Georg, Torsten Seeland, der medialen Hysterie entgegen, dass der Stoff „die Städte überschwemmt“: Während der Konsum seit Mitte der neunziger Jahre in Hamburg rasant zugenommen habe, habe sich die Zunahmegeschwindigkeit bereits verlangsamt. Er prognostizierte, dass sich die Zahl der KokainraucherInnen in einer gewissen Größenordnung einpendeln wird.

Einig waren sich die ReferentInnen darin, dass das Hilfssystem auf die Entwicklungen in der Drogenszene reagieren muss. Die habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Schon lange ist von zunehmender Aggression und Gewalt die Rede. Doch das, so die Fachleute auf der Tagung, sei nicht originär auf den Stoff Crack zurückzuführen: „Es ist nicht so, dass das Rauchen selbst schon aggressiv macht“, sagte die Sozialpädagogin Katja Thane vom „Drob Inn“. Weil aber Crack im Gegensatz zu Heroin aufputscht, würden Konflikte schneller ausarten.

Eine Mitarbeiterin des „Café Sperrgebiet“ im Publikum gab zu bedenken, dass Aggression über die Lebensbedingungen geschürt würde, die sich vor allem für junge Frauen durch Crack verschärft hätten. Wegen der kurzen Wirkungsdauer und dem entsprechend hohen Beschaffungsdruck seien sie den Freiern noch stärker ausgeliefert. Revierleiter Seeland ergänzte, dass Crack für abhängige Prostituierte zum Zahlungsmittel geworden sei. Manchmal bieten junge Frauen ihren Körper für einen „Stein“ an – im Wert von fünf bis zehn Mark.

Seit Crack aufkam, hätten in St. Georg die Beschwerden der AnwohnerInnen über die Drogenszene zugenommen. Seeland betonte jedoch, dass die sich nicht über Bedrohung beklagten: Der Umgang der KonsumentInnen untereinander sei aggressiver geworden, nicht aber deren Auftreten gegenüber den NachbarInnen. Da die Süchtigen aber oft tagelang ohne Schlafpause auf den Beinen sind, sei die Szene auf den Straßen einfach mehr präsent – und laut. Auch nachts.

In Frankfurt wurden schon 1997 spezielle Angebote für Crack-KonsumentInnen geschaffen. Dort wurden StreetworkerInnen für Straßensozialarbeit für Crack-KonsumentInnen angeheuert. Jürgen Klee von „La Strada“ in Frankfurt berichtete, dass die Drogenhilfe zudem Akupunktur biete, weil das beruhigend wirken kann. Und weil die KlientInnen nach tagelangem Konsum nicht zusammenbrechen, wenn gerade Nacht ist und die Sozialbehörde Notbetten für Obdachlose bietet, wurden in Frankfurt Tagesruhebetten für Abhängige aufgestellt. Derartige Ruheräume schlug der gesund-heitspolitische Sprecher der GAL, Peter Zamory, auch für Hamburg vor. Zudem solle das hiesige Streetworkprojekt „Laufwerk“ personell aufgestockt werden. Neuerungen in der Drogenpolitik, so Zamory, seien beim Koalitionspartner SPD aber immer nur sehr zögerlich durchzusetzen.