New Economy sieht alt aus

Hype & Crash: Auf der Internet World hat sich das Bild gewandelt. Die Messeteilnehmer sind schicker geworden, die Großen bestimmen das Bild, und die Aura des Aufbruchs wirkt anachronistisch

von RICHARD ROTHER

Ein Witz geht um auf der Internet World: Manch einer der noch vor Jahren hofierten Entrepreneurs, so heißt es, komme nur noch vorbei, um zu sehen, dass andere auch nicht mehr da sind. Aber sie haben sich dafür schick gemacht. Vorbei sind die Zeiten, in denen die New-Economy-Pioniere wahlweise in engen 80er-Jahre-Jeans und Schlabberhemden oder weiten 90er-Jahre-Hosen und engen Designer-T-Shirts herumliefen. Angesagt sind wieder Anzug und Krawatte, zu denen mancher, quasi als Relikt alter Hippness, moderne, schmale Turnschuhe trägt: Die New Economy sieht alt aus.

Das gilt nicht nur fürs Modische, sondern vor allem fürs Ökonomische – Form und Inhalt haben selten so eng zusammengepasst. Immerhin werden nach Schätzung von Branchenexperten rund 75 Prozent aller Internetfirmen niemals einen Gewinn abwerfen. Und manche der an der Börse gehypten Firmen hat innerhalb kürzester Zeit mehr als 90 Prozent ihres Aktienwerts verloren. „Geld statt Optionen“ ist nicht nur die Schlagzeile eines Magazins, es ist auch zum Credo angehender Web-Spezialisten geworden.

Dass die New Economists dennoch mit dem Geld wohlwollender Venture Capitalists um sich schmeißen und gefangen im Netz der Illusionen Optimismus verbreiten – auch dieses Bild gehört der Vergangenheit an. Auf der Internet World haben die ganz Großen, zum Teil aus der Old Economy kommend, das Sagen: Deutsche Post, Deutsche Telekom, Lufthansa, Microsoft, SAP, Vodafone, Langenscheidt, Bertelsmann, Cable & Wireless, Deutsche und Dresdner Bank. Vergebens sucht man die Pioniere der selbst ernannten Internet-Hauptstadt: Pixelpark etwa, Jamba.de oder Aperto.de.

Kleine Berliner Firmen sind zwar vertreten, aber nicht leicht zu finden. „Ein Messeauftritt kostet viel Geld“, sagt eMsys-Vertriebschef Robert Schlink. „Das überlegt man sich dreimal.“ Rund 50.000 Mark gibt die Firma, die mit zehn Beschäftigten Software für Großrechner entwickelt, insgesamt für ihre Präsenz am Hallenrand aus. Auch sonst hält sich Schlink abseits, mit dem Hype & Crash der Branche will er nichts zu tun haben: „Wir machen produktive Arbeit.“ Seine Programme nutzten klassische Firmen für den Vertrieb ihrer Produkte.

Auch für 1-2-C.de ist der Messeauftritt nicht billig, 15.000 Mark zahlt das Friedrichshainer Start-up allein für den Stand. Acht Beschäftigte entwickeln Grafiksoftware für eCard-Gestaltung. Damit sollen große Unternehmen im Netz ihren Kunden ein Schmankerl liefern – etwa die Versendung einer handgemalten elektronischen Postkarte. Für 1-2-C.de-Geschäftsführer Udo Tremmel kommt die Internetkrise nicht von ungefähr: „Viele Internetfirmen haben Produkte im Netz entwickelt, die kein Mensch braucht.“ Immer neue Plattformen machten kein Sinn; das Web werde am häufigsten durch Versenden von E-Mails genutzt. Und die könnten aufgepeppt werden, insbesondere Frauen würden auf individuell gestaltete Mails stehen, sagt der Soziologe Tremmel. „Das digitale Poesiealbum hat Zukunft.“

Klassische Internetplattformen befänden sich hingegen in einem Teufelskreis, so Tremmel. Die Kunden wollten für die Dienstleistung nicht zahlen, und mittlerweile sind die Preise für Bannerwerbung auf ein Fünftel gesunken. Deshalb versuchen nun die Anbieter, beim Content – also bei Inhalt und Aufbereitung der Seiten – zu sparen. Die Sites werden damit unattraktiver, die User bleiben weg, die Werbeeinnahmen sinken weiter. „Die Luft ist raus“, meint Tremmel. Alle würden jetzt auf die nächste Handy-Generationen warten, aber das sei auch unsicher. „Die Ratlosigkeit ist groß.“

Nicht so bei Interconomy aus Paderborn. „Die Crashs sind gut, das belebt unser Geschäft“, sagt Mitarbeiter Ralf Beck. Das Unternehmen bietet Firmen Internetplattformen zum Selbermachen an. „Wir rechnen konservativ, wachsen mit den Aufträgen – nicht umgekehrt.“ Optimistisch gibt sich auch Handy.de. „Wir haben ein anständiges Businessmodell“, meint Marketingfrau Swantje Huth. Der Augenaufschlag der Mittzwanzigerin ist so professionell wie die stündlich steigenden Promotionaktionen: Dann werden T-Shirts verteilt und mit viel Tamtam Handys verlost. Allerdings: Der laute Rummel, die Aura des Aufbruchs wirken in diesem Jahr seltsam anachronistisch. So könnte der Hit von Depeche Mode, den man bei Handy.de als Klingelton bekommt, zum heimlichen Motto der Internet World werden: „Dream On“.