schnittplatz
: Kultur, wo ist dein Korrespondent?

Seit Ende vergangenen Jahres leistet sich das Springer-Blatt „Die Welt“ einen kostspieligen Mitarbeiter: Wolf Biermann, für den eigens der Posten eines Chef-Kulturkorrespondenten eingerichtet wurde. Seit bald vier Monaten aber herrscht Funkstille.

Am 8. November 2000 vermeldete die Welt eine kleine Sensation in eigener Sache. Ausgerechnet Wolf Biermann, DDR-Dissident und linker Schriftsteller, werde künftig als meinungsstarker Chef-Kulturkorrespondent „die freiheitliche und weltoffene Grundhaltung der Zeitung“ verkörpern, so Chefredakteur Wolfram Weimer. Biermann kommentierte, ganz Biermann, seine neue Aufgabe mit den Worten, die Welt habe sich eben geändert, „und mit ihr Die Welt“.

Dass es schon etwas mehr als nur schelmischer Wortspiele bedarf, die Welt oder wenigstens die Welt zu verändern, dürfte Biermann inzwischen gemerkt haben. Am 19. Januar veröffentlichte er seine „skeptische Verteidigungsschrift für Joschka Fischer“, die konservative Autoren des Hauses zur vehementen Gegenrede veranlasste – schließlich ging’s um die Deutungshoheit in der 68er-Debatte. Worauf Biermann wiederum schrieb, er „fände es schade, wenn [. . .] Die Welt kurz nach ihrem mutigen Aufbruch ins Liberale, ins Offene nun wieder feige in die verfallenen Schützengräben des Kalten Krieges zurückrobbt. Aber – voilà – es sieht gar nicht danach aus“. Das war am 27. Januar, und seit dem Wirbel hat er sich vornehm zurückgehalten. Nida-Rümelin? Richard Wagner in Israel? West-Journalisten als Stasi-Gehilfen gar? Alles kein Thema für den Welt-Chef-Kulturkorrespondenten? Auf eine entsprechende Anfrage hat Biermann nicht reagiert. Und auch bei der Welt weiß man nicht genau, wann er zuletzt geschrieben hat: „Irgendwas an Ostern. Und zum Geburtstag von Armin Müller-Stahl?“ Der war aber schon im Dezember.

„Sich wandeln“ und „sich wenden“, schrieb Biermann einmal, lägen „verwirrend dicht beieinander.“ Kann es sein, dass er selbst ein wenig durcheinander geraten ist? Dass er sich zum gut bezahlten Chef-Feigenblatt der Kampagnenjournalisten der Welt hat machen lassen lassen? Voilà, es sieht ganz danach aus.

ARNO FRANK