Verschwiegenheit schafft kein Vertrauen

Ob Gaddafi nun die Beteiligung am „La Belle“-Anschlag zugegeben hat, will die Bundesregierung für sich behalten

BERLIN taz ■ Wenn Jürgen Chrobog solch vehement formulierte Solidaritätsadressen braucht, muss die Not des deutschen Botschafters in Washington groß sein. „Einer der exzellentesten Spitzenbeamten, die wir haben“, hieß es gestern im Auswärtigen Amt (AA) über ihn. Es gebe „ein absolutes Vertrauen zu der akkuraten und absolut zuverlässigen Arbeitsweise“ des Botschafters, erklärte Joschka Fischers Sprecher Andreas Michaelis.

Eben diese Beteuerungen bringen den Beamten nun freilich in Konflikt mit einem anderen deutschen Spitzendiplomaten: Michael Steiner, der als sicherheitspolitischer Berater von Gerhard Schröder der persönliche Chefdiplomat des Bundeskanzlers ist. Streitpunkt ist die Frage, ob Steiner beim Treffen von Schröder mit US-Präsident Bush im März verkündete, der libysche Staatschef Gaddafi habe eine Beteiligung seines Landes am Anschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ im Jahre 1986 gestanden.

Chrobog berichtet dies in seiner Zusammenfassung des Gesprächs, die er als Depesche Nummer 596 an das AA schickte. Nachdem am Dienstag die FAZ Auszüge veröffentlichte, ließ Steiner über den Regierungssprecher dementieren: Gaddafi habe sich bei einem vertraulichen Gespräch mit Steiner in Tripolis vom Terrorismus distanziert, aber über „Einzelfälle aus der Vergangenheit wurde nicht gesprochen“. Offiziell wollte sich die Bundesregierung auch gestern nicht zur Existenz des Fernschreibens äußern, allerdings sprach man von „Informationen, die unter Verstoß gegen geltende Geheimhaltungsvorschriften weitergegeben wurden“.

Nun wäre der Vorfall etwas weniger bedenkenswert, wenn Jürgen Chrobog sich demnächst in den Ruhestand verabschieden würde. Er könnte den Vorsitz eines deutsch-amerikanischen Freundschaftsvereins übernehmen oder die Hauptstadtrepräsentanz eines Automobilherstellers, ohne dass irgendjemand ihn nach seiner Präzision beim Abfassen von Depesche 596 fragen würde.

Doch der größte Sprung in der Karriere des Beamten steht noch aus: Wenn alles wie geplant läuft, wird der Botschafter demnächst zu Joschka Fischers Staatssekretär ernannt. Falls alles wie geplant läuft. Der Widerspruch zwischen Jürgen Chrobog und Michael Steiner könnte demnächst vor Gericht verhandelt werden.

Das AA bestätigte gestern, dass es einen Anruf der Staatsanwaltschaft im La-Belle-Verfahren erhalten hat. Allerdings sei bisher keine Anfrage auf Akteneinsicht eingetroffen. Die Anwälte der La-Belle-Opfer hoffen durch eine Vernehmung Steiners zu erfahren, ob die Bundesregierung von Gaddafis Eingeständnis gewusst hat.

Nach der öffentlichen Festlegung des Regierungssprechers kann der Kanzlerberater dies nur noch bestreiten. Dann aber könnte die Depesche, die die Anwälte nach eigenen Angaben besitzen, vor Gericht eine Rolle spielen.

Das Auswärtige Amt müht sich unterdessen den Blick auf die politische „Normalisierung“ der Beziehungen zu Libyen zu lenken. Wer was, wann, zu wem sagte, so der dezente Hinweis, sei doch unerheblicher als der Prozess, den Libyen unbestreitbar einschlagen wolle: die Abkehr vom Terrorismus.

PATRIK SCHWARZ