Fischers Fritze fischt mies Muscheln

■ Deutsche Fischer entnehmen aus international geschütztem Wattenmeergebiet Miesmuscheln / Hunderte von Wat- und Zugvögel verhungern bereits

In Deutschland erlaubt, in Holland verboten: Neuerdings schrabben die letzten drei niedersächsischen Muschelfischer Saatmuscheln auf den Sandbänken „Hund“ und „Pappsand“ in der Emsmündung – mit Genehmigung des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums. Den Fischern im Ems-Nachbarland Holland ist dies durch Gerichtsbeschluss verboten.

Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) befürchtet, dass die Muschelfischer die Speisekammer der Vögel im Wattenmeer zerstören. Seit drei Jahren verhungern hunderte von Wat- und Zugvögeln an der Nordseeküste.

Dabei sind die bei Ebbe trockenfallenden Muschelbänke eigentlich auch auf deutscher Seite durch das niedersächsische Umweltministerium geschützt. Die Bänke sind Flo-ra-Fauna-Habitat-Gebiete (FFH). Sie sollen der Europäischen Union außerdem als Vogelschutzgebiete vorgeschlagen werden und sind damit tabu für eine wirtschaftliche Nutzung. Dass das Ministerium für Landwirtschaft die Genehmigung zum Muschelfischen dennoch gegeben hat, lässt sich daher nur als satte Breitseite gegen das Umweltministerium verstehen.

„Wir können vor jedem Gericht mit unserer Entscheidung bestehen“, verteidigt der Chef des Staatlichen Fischereiamtes Bremerhaven Wolfgang Hagena die Entscheidung. Er hat in Absprache mit dem Landwirtschaftsministerium die Genehmigung erteilt.

Schon einmal, vor einem Jahr, hatten die Muschelfischer Anträge zur Entnahme von Saatmuscheln in der Emsmündung gestellt. Die Anträge wurden abgelehnt, die Muschelfischer klagten dagegen vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg und setzten so die Genehmigungsbehörde unter Druck.

„Wir sehen jetzt keine Möglichkeit mehr, die Muschelentnahme zu verbieten. Recht ist Recht. Wir sind keine Bananenrepublik“, sagt jetzt überraschend ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums. Damit dürfen die Fischer endlich ihre Muscheln jagen – der Prozess gegen das Landwirtschaftsministerium ist gegenstandslos geworden.

Die Niederlande interpretieren die bestehenden Verträge mit der Bundesrepublik völlig anders. Trotz zahlreicher Gespräche zwischen den Landwirtschaftsministerien Niedersachsens und der Niederlande konnte denn auch keine Einigung erzielt werden. Niedersachsen genehmigt die Muschelentnahme in den Schutzgebieten, die Niederlande nicht. „Wir haben da kontroverse Vorstellungen. Unser Staatssekretär in der Landwirtschaftsbehörde, Dietmar Schulz, und seine niederländische Kollegin haben sich ausgetauscht bis zuletzt. Von den Niederländern kam aber kein konstruktiver Vorschlag. So konnten wir nicht anders, als die Muschelfischerei in der Emsmündung zu genehmigen“, so Sachbearbeiter Thomas Billing im Landwirtschaftsministerium.

In der Umweltbehörde ist man über den Entschluss „sehr unglücklich“. „Mit uns war das nicht abgesprochen“, stellt der Sprecher des Umweltministeriums, Folkert Wiesner, fest. So weit die diplomatische Version. Fachleute der Behörde werden deutlicher: „Die Genehmigung ist eine ökologische Schweinerei. Wir erwarten einen Protest der Niederlande beim deutschen Außenministerium.“ Die Niederländer berufen sich bei ihrer Ablehnung auf den Ems-Dollart-Vertrag, der festlegt, welche Nutzungen in der Emsmündung erlaubt sind. Als ehemaliger Mitarbeiter des Umweltministeriums hatte Dietmar Schulz tiefe Einblicke in den Vertrag. Jetzt ist Schulz Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium und hat die Muschelentnahme abgesegnet.

Genüsslich präsentiert das Landwirtschaftsministerium ein Schreiben, in dem das Umweltministerium keine „Bedenken wegen erheblicher Eingriffe“ in Sachen Muschelentnahme attestiert. Damit wird der Streit in der Landesregierung vollends konfus. Machte sich das Umweltministerium bislang als Hüterin der Natur stark, so muss es jetzt erklären, warum es einer wirtschaftlichen Nutzung eines von ihm selbst geschützen Gebietes Vorschub geleistet hat. „Naturschutz im Wattenmeer ist nur noch Marketingetikett“, sagt Uilke van der Meer vom BUND Nordseehaus in Dornum.

Thomas Schumacher