„Arbeitslosigkeit macht arm“

Die Ausländerarmut ist das Ergebnis einer verfehlten Politik, meint Safter Cinar vom Türkischen Bund. Die Debatte um Einwanderung und Integration führe aber in die richtige Richtung. Quartiere im Westen brauchen bessere Förderung

taz: Herr Cinar, ein Viertel aller Ausländer in Berlin lebt in Armut, ein weiteres Drittel in armutsähnlichen Verhältnissen. Überraschen Sie diese Zahlen?

Safter Cinar: Eigentlich nicht. Die Arbeitslosigkeit bei Menschen nichtdeutscher, insbesondere aber türkischer Herkunft, ist überproportional hoch. Dass diese Menschen nach einer bestimmten Zeit, vor allem nach längerer Arbeitslosigkeit unter die Armutsgrenze fallen, erstaunt nicht.

Gibt es außer der Arbeitslosigkeit weitere Gründe für die Ausländerarmut?

Viele arbeiten in unqualifizierten, also schlecht bezahlten Jobs. Das führt ebenso dazu, dass das Durchschnittseinkommen sinkt, wie eine hohe Kinderzahl.

Sie haben die Kinderzahl angesprochen. Viele Kinder gelten als erhöhtes Armutsrisiko. Sieht man das in türkischen Familien auch so, oder gelten viele Kinder dort immer noch als Sicherung der Rente?

Das ist zum Teil noch so. Auf der anderen Seite haben aber Langzeitstudien ergeben, dass seit dem Beginn der Einwanderung die Größe der Familien abgenommen hat. Die Kinderzahl liegt zwar noch über dem deutschen Durchschnitt, sinkt aber.

Welche Folgen hat Ihrer Ansicht nach die wachsende Ausländerarmut?

Es kommt öfter vor, dass die Betroffenen die Armutssituation auf ihre ethnische Herkunft beziehen, dass sie sich diskrimiert fühlen. Das mag im Einzelfall so sein. Doch die wichtigsten Ursachen sind die soziale Struktur und die Bildungssituation. Das ist natürlich sowohl für die Erwachsenen als auch ihre Kinder demotivierend. Die Kinder bekommen dann nicht die materielle Unterstützung, um in der Schule und auch später erfolgreich zu sein.

Hat sich der Senat zu lange auf die Angleichung zwischen Ost und West konzentriert und die Ausländerarmut aus den Augen verloren?

Man kann schon sagen, dass zumindest in der 90er-Jahren die ganze Migrations- und Integrationsdebatte wegen der Ost-West-Angleichung aus den Augen verloren wurde. In den letzten anderthalb Jahren gibt es aber ernsthafte Diskussionen, sowohl über Zuwanderung, als auch über Integration. Ich hoffe, dass sich das auch in entsprechendem Handeln ausdrückt.

Was ist das Hauptproblem? Die Armut oder die mangelnde Integration?

Es wird derzeit ernsthaft über gezielte Integrationsmaßnahmen nachgedacht. Das hatte man in der Vergangenheit versäumt, deshalb sind wir ja jetzt auch in dieser Situation. Wenn man jetzt ernsthaft neu beginnt, ist das zu begrüßen.

Müsste sich die Politik etwa beim Quartiersmanagement sehr viel stärker auf die Westberliner Innenstadtbezirke konzentrieren?

Dass es einer besonderen Konzentration bedarf, ist klar. Dort gibt es ja nicht nur viele Menschen nichtdeutscher Herkunft, die in sozial unterdurchschnittlichen Verhältnissen leben. Auch für die Kinder sehen die Zukunftschancen dort nicht sehr gut aus. Insofern muss man den Menschen mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung bieten.

INTERVIEW: UWE RADA

Safter Cinar ist Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg