Eine Mischung aus Dramatik, Tragik und Pathos

Ein goldenes Eigentor zum 5:4 in der Verlängerung beendet das in jeder Hinsicht denkwürdige Uefa-Cup-Endspiel zwischen dem FC Liverpool und dem baskischen Vertreter Deportivo Alavés zugunsten des britischen Klubs, der seinen ersten europäischen Titel seit 17 Jahren gewinnt

DORTMUND taz ■ „Ma-Hakes . . .“ Ryan und Miles versagen die Stimmen. Doch als richtige Engländer geben sie nicht auf, sondern starten einen zweiten Versuch. „Ma-Hakes Bäbbl!“ Erfreut, dass ihre heiseren Kehlen auch an einem kühlen, frühen Donnerstagmorgen auf diesem verlassenen Dortmunder Bahnsteig noch den Dienst tun, geben sie eine Zugabe. „Diedmahr Hä-Mähän!“ Knapp acht Stunden zuvor haben Ryan, Miles, Markus Babbel und Dietmar Hamann geholfen, dass der FC Liverpool den Uefa-Cup gewinnen konnte; Erstere als Dauersänger auf den Rängen des Westfalenstadions, Letztere als Dauerläufer auf dem Platz. Damit haben sie zunächst mal viel für das Ansehen des deutschen Fußballs getan, denn schließlich hatten die „Reds“ während der gesamten Spielzeit plus Verlängerung genau so viele Deutsche auf dem Platz wie der als Vaterlandsverteidiger gerühmte FC Bayern zeitweise gegen Real Madrid, eben zwei. Vor allem aber lässt dieser Triumph Ryan und Miles hoffen, dass die großen Tage ihres Klubs zurückkehren.

Vor kaum zwanzig Jahren beherrschte nämlich Liverpool den heimischen und europäischen Fußball nach Belieben. Heute glauben viele jüngere Fußballfans, die Insel England sei erst kürzlich um Manchester herum aufgeschüttet worden. Deshalb hielten die Liverpool-Fans beim letzten Spiel gegen United ein Banner hoch, auf dem stand: „Form ist temporär, Klasse ist permanent.“

Diesen Satz kann man auch mit den Wörtern „Nationalität“ und „Abstammung“ bilden. Viele Anhänger von Liverpools Finalgegner Deportivo Alavés, dem Vertreter Spaniens, der bis vor kurzem nicht einmal Ballermann-6-Veteranen ein Begriff war, trugen einen Aufkleber, der erklärte: „Ich bin nicht spanisch, ich bin baskisch.“ Einer von ihnen erläuterte das so: „Madrid und Valencia sind mir egal. Ich will nur, dass die baskischen Vereine drinbleiben.“ Damit meinte er Real Sociedad San Sebastian und Osasuna Pamplona, beide stark abstiegsgefährdet, dazu Athletic Bilbao und eben Deportivo Alavés. Die vier Klubs spielen zum ersten Mal gleichzeitig in der höchsten spanischen Liga. Bilbao verpflichtet nur Basken, San Sebastian nimmt auch Ausländer, solange sie nicht aus dem Rest Spaniens kommen. Beim kleinen Alavés ist man liberaler: Da darf Johan Cruijffs Sohn Jordi kicken, obwohl er bei den Iberern als Katalane gilt.

So kompliziert ist Europa. Welch Glück, dass Fußball einfacher geht: Flanke, Kopfball, Tor. So brachte Mahkes Bäbbl die Engländer in Führung, Diedmahr Hämähn leitete das 2-0 durch Gerrard ein. Da glaubten die Liverpooler an den sicheren Sieg – und fast an die EU. Aber weil Europa für alle da ist, überwanden die Basken ihre Nervosität und kehrten kühn in ein Spiel zurück, das schon heute als legendär bezeichnet werden muss. Selbst José Manuel Mané, der Trainer der Verlierer, nannte es später ein „grande finale“. Für Manés Team erzielte Ivan den Anschlusstreffer wie ein Brite – per Kopf. Dann verwandelte der Liverpooler Schotte McAllister einen Elfmeter so sicher, wie sonst nur Deutsche das tun. Zwei Tore von Deportivos Stürmerstar Moreno innerhalb von drei Minuten brachten das 3:3, und da war noch keine Stunde gespielt. Als den Basken die Beine bleiern wurden, schoss Fowler Liverpool erneut nach vorne, doch in der Schlussminute schickte der holländische Katalane Jordi das Spiel in die Verlängerung.

So viel Spass kann Europa machen. Geradezu andächtig blickten die neutralen Zuschauer auf die Ränge, wo beide Fangruppen ebenso spektakulär und friedlich miteinander wetteiferten wie ihre Mannschaften. Jene sorgten dann prompt auch noch für die Mischung aus Dramatik, Tragik und Pathos, die Fußball so intensiv machen kann. In der Verlängerung gab es erst zwei Abseitstore, gerecht verteilt, und zwei Platzverweise, beide für die Basken, dann den neunten Treffer. Und dieses „Golden Goal“, das erste, das ein Europapokalfinale entschied, war ein Eigentor. Geli aus Alavés überraschte seinen Torwart, sank schluchzend zu Boden, und die Liverpooler stimmten ihr berühmtes „You’ll Never Walk Alone“ an. Das ist allerdings nicht europäisch, sondern stammt aus einem amerikanischen Musical.

ULRICH HESSE-LICHTENBERGER