„A patschertes Handerl“

Ein mehr als „ungeschicktes Händchen“ beweist Österreichs Justizminister Böhmdorfer mit seinem Gesetzentwurf, der die Veröffentlichung vertraulicher Gerichtsakten unter Haftstrafe stellen soll

aus Wien RALF LEONHARD

Justizminister Dieter Böhmdorfer ist kein Sympathieträger. Vor allem für die Opposition und die regierungskritische Presse. Vor wenigen Tagen überstand er dank der Regierungsmehrheit im Parlament den bereits siebenten Misstrauensantrag seiner 14-monatigen Amtszeit. Grund war ein von ihm ausgerechnet am Tag der Pressefreiheit lancierter Antrag auf Abänderung der Strafprozessordnung, der Journalisten für das Veröffentlichen vertraulicher Gerichtsakten mit Haftstrafen droht. Dass er nach einem Aufschrei der Medien abwiegelnd erklärte, man könne es auch bei Geldstrafen bewenden lassen, hat die Empörung nicht wirklich gemindert.

Welcher der großen Skandale der letzten Jahre, so fragten die Redakteure, wäre aufgeklärt worden, wenn nicht Medienberichte Druck gemacht hätten: Von der Korruption beim Bau des Allgemeinen Krankenhauses in Wien bis zur so genannten Spitzelaffäre, bei der vor allem FPÖ-Politiker verdächtigt werden, durch illegale Abfragen im Polizeiarchiv Politik gemacht zu haben. Der Grünen-Abgeordnete Peter Pilz, selbst wiederholt Opfer von Böhmdorfers Nachstellungen, sprach von „DDR-Methoden“, Medienanwalt Gabriel Lansky gab sich streitbar: „Das ist ein Angriff auf die Medien, der beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht halten wird.“

Böhmdorfer verstand die Aufregung nicht. Ihm sei es um die Verbesserung von Datenschutz und Rechtssicherheit gegangen. Seit neuestem dürfen nämlich Beschuldigte und deren Anwälte in die Ermittlungsakten Einsicht nehmen. Seit 1997 wiederum ist in Österreich die Schleierfahndung zulässig, die das Anzapfen der Telefonleitungen von Verdächtigen vorsieht. Bei dieser Bespitzelung würden auch Informationen gewonnen, die mit dem Verfahren nichts zu tun haben, deren Veröffentlichung aber für den Betroffenen peinlich oder geschäftsschädigend sein könnten. Dem gelte es vorzubeugen. Im Übrigen sei die Gesetzesreform schon unter dem parteiungebundenen Justizminister Nikolaus Michalek der vergangenen Regierung ausgearbeitet worden. Prominente Juristen begrüßen diese Korrektur, Presseleute aber wittern einen Maulkorb. Denn im Michalek-Entwurf fehlte der Querverweis auf Paragraph 301 des österreichischen Strafgesetzbuches, der Haftstrafen bis zu sechs Monaten vorsieht. Das Wochenmagazin Profil drückte seine Skepsis mit einer Collage aus. Es unterlegte das Böhmdorfer-Zitat: „Ich bin ein fanatischer Anhänger der Pressefreiheit, wirklich“ mit dem Foto eines treuherzig blickenden Vladimir Putin.

Böhmdorfers Glaubwürdigkeit auf diesem Gebiet ist tatsächlich nicht höher als die des russischen Präsidenten. Er gehört zwar selbst keiner Partei an, hatte jedoch als Anwalt Jörg Haiders und der FPÖ jahrelang kritische Journalisten mit Prozessen überzogen. Das trug ihm sogar eine Rüge im so genannten Weisenbericht ein, der im September letzten Jahres die Aufhebung der EU-Isolationspolitik gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung empfahl. Unvergessen ist Jörg Haiders Drohung, wenn die FPÖ an die Macht komme, werde er „in den Redaktionsstuben für Ordnung sorgen“. Und die Versetzung kritischer ORF-Journalisten nach dem Regierungsantritt bezeugt, dass er es ernst meinte. Selbst Michael Graff, Exgeneralsekretär der ÖVP, hielt die Art und Weise, wie der Justizminister das Projekt präsentiert hatte, für wenig geglückt: „Der Mann hat schon ein patschertes Handerl.“ Zuletzt schlug Böhmdorfer vor, im Rahmen einer Justizreform die Vorermittlungen vom unabhängigen Untersuchungsrichter zum (weisungsgebundenen) Staatsanwalt zu verlagern. Damit hat er die Befürchtungen nochmals genährt, er wolle die Rechtsprechung unter seine Kontrolle bringen.