Ilse, die Urdose

Seit den 50er-Jahren vermehren sie sich wie Karnickel. Jetzt wird Getränkedosen Familienplanung verordnet

Sie ist rot, 80 Gramm schwer und feiert bald ihren 50. Geburtstag. Nennen wir sie Ilse. Ilse ist die erste deutsche Dose. Sie war in ihren ersten Lebensmonaten mit Frankfurter Henniger Bräu gefüllt. Jetzt ist sie nur noch hohl und leer. Vielleicht wurde Ilse nach dem Trinkgenuss in den Müll geworfen, vielleicht landete sie unter einer Parkbank, vielleicht ist sie auf irgendeinem Bolzplatz so lange durch die Luft gekickt worden, bis sie zerbeult in einer Ecke liegen blieb und rostete.

Ilse ist ein Mischlingskind. Der Vater muss Thailänder, Malaysier, Chinese oder Inder gewesen sein, womöglich kam er aber auch aus Bolivien, Nigeria oder der Sowjetunion. Er gelangte per Schiff mit einer Ladung Zinn nach Deutschland, wo er mit Ilses Mutter die Verschmelzung einging. Ilses Mutter stammte aus Brasilien und reiste als Teil einer Erzlieferung ein. Aus der Vermischung der beiden Metalle entstand Weißblech und daraus Ilse.

Die Vorfahren von Ilse lebten im US-Staat Virginia und hießen damals flat top cans. Ilses Nachkommen erwiesen sich von Generation zu Generation als immer fruchtbarer. Kaum war der Babyboom vorbei, legten die Dosen so richtig los. Seit den Siebzigerjahren gibt es deshalb einen Dosenboom und damit ein Dosenproblem. Dosen dümpeln auf dem Schulteich, treiben durch gletscherklare Gebirgsbäche, belagern Straßenränder, Raststätten und Picknickwiesen. Überall nur Dosen, Dosen, Dosen.

Um der Doseninvasion Herr zu werden, hat man für Ilses Nachkommen eine Art Wiedergeburt eingeführt. Sie werden eingeschmolzen und kommen als Wohnzimmerregale neu auf die Welt. Oder als Kronkorken. Mittlerweile wird von etwa jeder zweiten Dose zumindest das Weißblech recycelt.

Ilses Urururenkel bringen nur noch ein Viertel des ursprünglichen Dosengewichts auf die Waage. Ihre Körper sind aus Stahlblech, das mit einer dünnen Schicht Zinn überzogen ist. Ilses Nachkommen haben bei vielen Menschen einen schlechten Ruf: Nicht nur, weil sie einer Rattenplage gleichen und nicht totzukriegen sind. Auch ist ihre Herstellung energieaufwendig und umweltschädlich.

Für eine Tonne Weißblech oder etwa 50.000 Dosen braucht man 1.170 Kilogramm Eisenerz. Um Eisenerz etwa in Südafrika, Brasilien oder den Vereinigten Staaten abzubauen, werden Landschaften zerstört, Wasserläufe trockengelegt, Menschen und Tiere vertrieben. Eine Tonne gewonnenes Erz hinterlässt dreieinhalb Tonnen Erd- und Steinabfall und 14.700 Liter verschmutztes Wasser. Mit dem Strom, der in die Gewinnung geflossen ist, hätte man 1.000 Kühlschränke 18 Tage lang laufen lassen können.

Außerdem benötigt man für die Herstellung von Weißblech das Schwermetall Zinn. Um eine Tonne reines Zinn zu gewinnen, werden 28.000 Tonnen Abfall produziert und 100.000 Kubikmeter Wasser verunreinigt. Eine Tonne Zinn reicht für etwa 250.000 Dosen.

Ilse, die Urdose, kann froh sein, dass sie längst verrostet ist. Jetzt wird ihrer vermehrungsfreudigen Sippe nämlich Familienplanung verordnet: Gestern beschloss der Bundestag, dass ab 2002 auf jede Getränkedose 0,25 Euro, also etwa 50 Pfennig Pfand erhoben werden. Das Gleiche gilt für Wegwerfflaschen aus Glas und Kunststoff.

KATHARINA KOUFEN