zahl der woche
: Kaffeepreis im Keller

Viel zu viele Bohnen

Den Euroländern ist dieses Mal kein Vorwurf zu machen: Pro Kopf werden hier mehr als 5 Kilo Kaffee im Jahr verbraucht – deutlich mehr als in jeder anderen Gegend der Welt. Der Bösewicht ist vielmehr der Vietnamese: Er konsumiert gerade mal knapp 200 Gramm im Jahr, exportiert aber fast so viel wie der Weltmeister Brasilien. Und schlimmer noch: Vietnam gehört nicht zur Vereinigung der Kaffee produzierenden Länder und beteiligt sich auch nicht an dessen Ernte-Rückhalte-Programm. Dieses soll den Kaffeepreis, der mit 65 Dollar pro 60-Kilo-Sack derzeit auf dem Niveau von vor 30 Jahren ist, wieder nach oben treiben.

Vor einem Jahr hatten die organisierten Kaffeeproduzenten beschlossen, 20 Prozent ihrer Ernte in Silos zu stecken und abzuwarten, bis die Preise wieder deutlich über 100 Dollar liegen. In dieser Woche trafen sie sich in London und jammerten: Sie sitzen inzwischen auf 7 Millionen Sack Kaffee, aber der Weltmarktpreis sackt trotzdem ab. Und Vietnam, der Schurke, kündigte an, seine Exporte zu verdoppeln. Schon denken Mexiko und Kolumbien daran, ihre Bohnen einfach ins Meer zu schütten. Trotzig wurde erst einmal beschlossen, das Rückhalteprogramm um ein weiteres Jahr zu verlängern. Das aberführt in die Katastrophe. Denn trotz teurer Lagerhaltung werden weltweit 6,5 Millionen Sack mehr angeboten als nachgefragt. Der Zeitpunkt, zu dem die strategischen Reserven auf den Markt geworfen werden sollen, wird niemals kommen. Auf preistreibende Marktmechanismen wie wochenlange Streiks von Hafenarbeitern oder furchtbare Fröste in den Anbaugebieten Brasiliens darf keiner mehr hoffen. Die meisten Häfen der Kaffee produzierenden Länder sind längst privatisiert, die Gewerkschaften so schwach wie nie. Und die Brasilianer sind seit Jahren damit beschäftigt, ihre Plantagen aus dem frostgefährdeten Südosten ins frostfreie Savannen-Hochland im Nordosten zu verlegen. Dort wollen sie bald hochwertigsten Arabica-Kaffee industriell produzieren – in großen Mengen und zu Kosten von deutlich unter 65 Dollar pro Sack. Die Zentralamerikaner mit Produktionskosten von rund 100 Dollar können dann endgültig einpacken. In London heuchelte Brasilien noch einmal Solidarität mit ihnen. Musste es auch. Schließlich hat der weltgrößte Produzent derzeit den Vorsitz im Verband. Da ist es besser, wenn Vietnam der Bösewicht ist. TONI KEPPELER