Europa hilft aus Eigennutz

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Das Bild hat Symbolcharakter: Eine Gruppe Bangladescher hält vor der gläsernen Fassade des Brüsseler Europaparlaments Schilder in der eigenen Landessprache hoch. Auf dem gegenüber liegenden Bürgersteig streben Aktentaschenträger und Frauen im City-Dress ihren Workshops, Debatten und Empfängen bei der 3. UN-Weltarmutskonferenz zu. Sie können die Schilder nicht lesen. Und sie wissen auch nicht, dass ein paar hundert Meter weiter die Nichtregierungsorganisationen parallel zur UN-Konferenz tagen.

Denn Flugblätter, Broschüren und Veranstaltungshinweise des NGO-Forums liegen im Parlament nicht aus. Eine Informationspolitik „auf Schülerzeitungsniveau“ sei das, kritisiert ein erfahrener Brüsseler Lobbyist. Tatsächlich hat sich der Dachverband der Nichtregierungsorganisationen seit Monaten auf das Ereignis vorbereitet. Zum Jahreswechsel aber hat die EU-Kommission wegen ungeklärter Fragen bei einer Rechnungsprüfung die Zuschüsse eingefroren. Den 25 Mitarbeitern wurde vorsorglich gekündigt, die meisten sind inzwischen zu anderen Organisationen abgewandert.

„Mit stärkerer Stimme“

Entwicklungshilfekommissar Poul Nielson, der sich mit der Aktion wohl als strenger Kassenwart profilieren wollte, hat kürzlich einem finanziellen Kompromiss zugestimmt. Betrug liege nicht vor, ließ er seinen Pressesprecher einräumen. Für die UN-Konferenz aber kam diese Einsicht zu spät, der angeblich so geschätzte Dialog mit der Zivilgesellschaft fällt diesmal aus.

Dabei hätte er spannend werden können. Denn die Nichtregierungsorganisationen fragen sich schon lange, wo die entwicklungspolitische Reise der EU, die einer der weltweit größten Geber von Entwicklungshilfe ist, hingehen soll. Während die USA inzwischen offen sagen, dass sie Entwicklungspolitik nur noch als Instrument für die eigenen Interessen einsetzen wollen, schreibt die EU nach wie vor Armutsbekämpfung als eigenständiges Ziel in ihre Strategiepapiere. Das Kleingedruckte aber spricht eine andere Sprache. Schon in der Mitteilung an den Rat über die Prioritäten der Entwicklungspolitik vom Mai letzten Jahres heißt es: „Ziel ist, die Existenz eines stabilen und erweiterten Europa zu sichern, das in der Welt mit stärkerer Stimme spricht.“

Die Besucher aus aller Welt werden sich diese Woche in Brüssel gefragt haben, wer eigentlich für Europa spricht. Während sich im Plenarsaal des Hohen Hauses am Rednerpult die Prominenten aus der Nord-Süd-Szene abwechselten, waren die Parlamentarier zu ihrer monatlich fest eingeplanten Straßburg-Woche ausgeflogen. Ob Kofi Annan (UN-Generalsekretär), Jerry Rawlings (Expräsident von Ghana und Schirmherr des UN-Freiwilligenjahres), Klaus Töpfer (Chef der UN-Umweltorganisation Unep) oder Mary Robinson (UN-Menschenrechtsbeauftragte) – für viele Abgeordnete wäre es eine einmalige Gelegenheit gewesen, hochkarätige Gesprächspartner aus allen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit auf dem Flur zu treffen. Ob Caritas, Oxfam, World Food Programme oder Weltbank – alle großen Hilfsorganisationen hatten Vertreter nach Brüssel geschickt. Sie trafen nur Joaquim Miranda, den Vorsitzenden des Entwicklungsausschusses. Ein Rundruf ergab, dass die meisten Parlamentarier die Bedeutung der Konferenz nicht kannten: „Da kämen wir zu nichts anderem mehr, wenn wir jede UNO-Konferenz besuchen würden“, oder „Die Nato tagt ja auch in Brüssel, und wir schicken da keinen hin“ – so die spontanen Kommentare.

„Ich weiß nicht, was sich die Veranstalter dabei gedacht haben“, schimpft der SPD-Entwicklungsexperte im Europaparlament, Wolfgang Kreissl-Dörfler. Die offizielle Begründung der Kommission, nur in einer Straßburg-Woche sei in Brüssel genug Platz für eine UN-Konferenz, leuchtet ihm nicht ein. „Vielleicht fand Nielson es bequemer, uns nicht dabei zu haben“, sagt er.

Fand es Nielson auch bequemer, die Nichtregierungsorganisationen in die Bedeutungslosigkeit abzudrängen? Wohin steuert die Politik des EU-Entwicklungskommissars? Fast zwei Jahre nach Amtsantritt fällt auch denen, die ständig beruflich mit ihm zu tun haben, eine Antwort schwer. „Wir haben so große Hoffnungen in ihn gesetzt. Als dänischer Entwicklungsminister hat er gute Arbeit geleistet. Inzwischen ist es einem fast peinlich, ihn so gelobt zu haben“, sagt Klaus Wardenbach, EU-Experte beim deutschen NGO-Dachverband Venro.

Beim Amtsantritt im Sommer 1999 stand Nielson unter dem Druck, das von den Vorgängern geerbte Missmanagement und die schleppende Projektabwicklung in seinem Bereich möglichst rasch auszumerzen. Außenkommissar Patten setzte ihm zusätzlich zu, indem er öffentlich vorrechnete, 20 Milliarden Euro nicht eingelöster Hilfszusagen stauten sich in Brüssel.

Nielson hat die Missstände eingeräumt und Besserung gelobt. Im Januar 2001 wurden die entwicklungspolitischen Mitarbeiter, die bislang in mehreren Generaldirektionen und externen Berateragenturen verteilt waren, im neu gegründeten Amt „EuropeAid“ zusammengeführt und das Personal wurde aufgestockt. Bei Entwicklungshilfeorganisationen hat EuropeAid schon jetzt einen schlechten Ruf: Die Projektanträge würden noch schleppender bearbeitet, die Verwaltungswege seien noch länger geworden, kritisiert der Dachverband der Nichtregierungsorganisationen in Brüssel.

Nielsons Ankündigung, künftig enger mit der UNO zusammenarbeiten zu wollen, hat die Sorgen der NGOs verstärkt. Sie fürchten, dass sich die EU-Kommission unter dem Vorwand, ihre Hilfsgelder effektiver als bisher einzusetzen, als eigenständiger Global Player in der Entwicklungspolitik profilieren will. Die ursprüngliche Idee bei der Gründung von EuropeAid war, die verfügbaren Mittel wirkungsvoller einzusetzen. Bestehende Strukturen sollten besser genutzt, die große Erfahrung einzelner Mitgliedsländer in bestimmten Regionen sollte in die gemeinsame Strategie eingebunden werden. Nun aber machen die NGOs vor Ort die Erfahrung, dass zusätzliche EU-Verwaltungen aufgebaut und die bürokratischen Verfahren komplizierter werden.

Entwicklungshilfe als Instrument der EU-Außenpolitik – damit setzt sich in der EU ein Trend durch, der auch bei den Mitgliedsstaaten zunehmend Schule macht. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Poul Nielsons inoffizieller Chef, Hongkongs Exgouverneur Chris Patten, in diesen Kategorien denkt und mit dem weniger prestigeträchtigen Entwicklungsziel Armutsbekämpfung nichts anfangen kann.

Geschickte Regie

Die außenpolitischen Strategen in der EU-Kommission werden wohl am Ende dieser Woche mit ihrem diplomatischen Erfolg zufrieden sein. Sie hatten die Dritte Weltarmutskonferenz zu Gast und führten so geschickt Regie, dass sie die Illusion einer Europäischen Union aufrechterhalten konnten, die gegenüber den ärmsten Ländern der Erde mit einer Stimme spricht. Wenn morgen die Delegierten ins Taxi steigen, um zum Flughafen zu fahren, werden Flüchtlinge am Steuer sitzen, die in ihren Heimatländern keine Überlebenschance haben. Daran werden die Tonnen Papier, die diese Woche voll geschrieben wurden, nichts ändern.