kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Westernschießen

Einmal im Jahr, an Karneval, verkleiden sich Menschen, um aus ihrer Haut zu fahren. Manche von ihnen nutzen die rollentollen Tage, um gesellschaftlich sanktioniert fremdzugehen. Andere tun das ständig, indem sie ihr Auto mit Wisch- und Wienerei begatten. Ist manches Dummdeutschen liebstes Kuschelopfer allerdings die Westernwaffe, kommt alles zusammen. Dann treffen Wisch- und Wienerei den Verkleidungs- und Selbstbestätigungswahn. Zum Beispiel demnächst wieder am Wannsee.

Potsdams Westentaschen-Jesse-Jamese und Calamity-Jane-Versionen beginnen bereits Steckbriefe in der Berliner Alleeprärie umher zu heften, um am 30. Juni Schöneweider Scharfschützen und Reinickendorfer Revolverhelden zur Berlin-Brandenburger Landesmeisterschaft im Western Schießen des Bundes Deutscher Sportschützen zu mobilisieren. Scheinbar genügt es manchen Menschen nicht, dass ihre Schießwut zum Sportschießen geadelt entmilitarisiert wird. Sie brauchen die volle Dröhnung des Durchsiebens. Mit Sheriffstern am Lederwestenimitat werden Flinten schwingend und coltfummelnd ohne Not die Allmacht der Sporenträger und globalbourgeoise Selbstjustiz beschworen.

Ein neues Fass amerikanischer Geschichtsmüllfolklore ist angestochen und bringt die Outlaws noch nicht yuppiesierter Berliner Eck-Saloons ins Schwärmen, wenn sie kalibergynäkologische Waffenberichte aus ihrer Fachpostille Visier zu sich nehmen: „Das Messing fiel deswegen im unteren Bereich sehr dünn aus. So konnten die Ballistiker keine tief eingezogene Rille anbringen, in die der Auszieher eines Repetiergewehres von hinten eingreifen kann.“ Da kann es bei Wettbewerben vorkommen, dass „auch schon mal vom Schaukelpferd aus auf Luftballons oder an Schnüren aufgehängte Tontauben“ geballert wird. Die sogenannten Stages werden „flankiert von liebevoll gemalten Indianer- und Cowboymotiven sowie Pappmaché-Kakteen.“

Während kämpferische Rappelkistenkids sich schon in ihrer Kindheit eher als Indianer verkleideten, waren die heute ballernden Bollos den HipHoppern von Anarchist Academy zufolge schon als Kind „stets die Bullen bei Räuber und Gendarm, das war’n die, die Karneval hundertpro als Cowboys kamen“. Frühamerikanische Besiedelungsmetzelei mündet in postmoderne Fluchtevents und Marlboro-Speichelleckerei. Come to where the Spinner is, würden die einen sagen. Andere würden jede Interpretation als miesepeterischen Psychoquatsch abtun und das Patronengewitter mit einem Satz von Dieter Bohlen nicht so ernst nehmen: „Die Leute glauben ja, dass man sich bei dem, was man tut, immer unheimlich viel Gedanken macht. Aber das ist eine Illusion, da muss ich alle enttäuschen.“

Trotzdem. Al „Fuzzy“ St. John, der in über 200 Filmrollen von 1913 bis 1963 den liebenswürdig saufend raufenden Gehilfen vieler TV-Lassoschwinger gab und hierzulande durch „Western von Gestern“ berühmt wurde, klagt in seinem Grab jetzt schon über einen Drehwurm. Mögen Winnetous Sam Hawkins und Festus Haggen aus Dodge City heranreiten, um den Berlin-Brandenburger Flintendjangos die Hirne ordentlich in der Pferdetränke zu waschen. Mögen sie ihnen klar machen, dass Cowboys eben nur Kuhjungen sind, die am besten das zelebrieren sollten, was ihr Name schon verheißt, nämlich Kühe hüten. GERD DEMBOWSKI

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