Der Motor allen Schlachtens

Schraube locker, Mutter drauf: Rammstein zeigten zwei Abende lang ihren Pyro-Mummenschanz im Velodrom und bewiesen beide Male, dass demonstrativ deutsch zu sein nicht besonders lustig ist

von ANDREAS BECKER

Das Berliner Velodrom, eines der Millionengräber der Olympiabewerbung der Stadt, duckt sich in eleganter Architektenpose in den Erdboden. Gut versteckt will sich hier das Böse in Form der Dampf- und Dumpfrocker Rammstein zwei Tage lang selbst feiern – zweimal ist die Halle ausverkauft, rund 20.000 Leute haben 70 Mark bezahlt.

Arme Loser: Sie stehen zusammengepfercht in einem Betongang neben der S-Bahn-Strecke und warten, geduldig Bier saufend, darauf, gefilzt zu werden. Es sind die Härtesten der Harten, die sich hier sammeln – jedenfalls könnte man sie von Outfit und Körperbau leicht dafür halten. Sogar Frauen sind zugelassen zu diesem rein männlichen Ritual. Es sind solche, die sich von ihrem Macker schmerzhaft an den lockigen Haaren unterm schwarzen Base-Cap ziehen lassen und grinsend mit ihm grölen: „Bück dich!“.

Allerdings dürfen sie nicht lachen, wenn ihr Typ später den Titel des neuen Albums brüllt: „Mutter“ – und die geballte Faust dazu reckt. Bei einigen klingt es wie „Motor“. Die auf der sichereren Sitztribüne entzünden dazu auch gern noch ein Feuerzeug.

Die neben mir im Innenraum vor der Bühne haben gerade anderes zu tun. Typen, die in etwa wie fiese Zivilbullen aussehen, schubsen welche, die mehr wie frisch ausgebrochene Knackis wirken. Leider versiegen Humor und Ironie bei Rammstein schnell. Demonstrativ deutsch sein ist halt nicht lustig.

Wenn die Band musikalisch wenigstens etwas Adäquates der Aggressivität ihrer Fans entgengenzustellen hätte! Bei Slayer oder anderem Heavy-Metal macht man immerhin eine körperliche Erfahrung. Bei Rammstein ist alles nur eintöniger Marschbefehl – ohne Brechstange geht da gar nichts. Man ist schon froh über ein Lied, das eine halbwegs eingängige Melodie aufweist – so summt man dankbar „Gott weiß, dass ich kein Engel bin“ mit.

Das Phänomen Rammstein haben schon einige erfolglos versucht zu deuten. Bedeutung zu suchen in all dem Pyro-Mummenschanz scheint beim Konzert allerdings noch sinnloser als außerhalb. Ihr Spiel mit faschistischer Ästhetik haben sie nach der Kritik an ihrem Riefenstahl-Olympia-Video ein Stück zurück genommen. Noch auf ihrer letzten Teutonentour ruderten sie zum Beispiel in einem Schlauchboot über die Köpfe des Publikums hinweg. Aber was bedeutet das?

Auch ihre von den Kritikern als Distanzierung von rechts gewerteter Song „Links 2, 3, 4“ scheint die Hools neben mir nicht mehr oder weniger umzutreiben als später die Stichworte ihrer Gefühlswelt: „Hass“, „Sehnsucht“ oder „Asche zu Asche“.

Es würden einen nicht mal wundern, wenn die Fans „Links“ grölen und dazu den Hitlergruß machen würden. Ob die und ihre Band auf die Couch gehören oder in den Knast – man sollte ihnen mit politischen Zuschreibungen nicht mehr Gewicht geben, als sie eh schon mit sich rumschleppen. Zu Beginn wird der „Sänger“ in einem blutroten Wabersack aus dem Bühnenhimmel in den „noch fruchtbaren“ Bühnenschoß zu seinen Mitmusikern (alle im schwarzen Muskelshirt und mit roten Haaren) hinabgelassen. Ein „Arzt“ klopft ihm auf die Schulter, und los geht’s mit dem wie aus dem Germanenantiquariat zusammengeholperten Texten und Haudrauf-Rhythmen. Gern lässt sich die Band Flammenwerfer reichen, jede Menge Pyrotechnik explodiert alle paar Sekunden, und als sich der Sänger an sein angeblich links sitzendes Herz packt, wird auch dort eine kleine Fackel entzündet, und es räuchert Trockeneis aus seinem Bühnenkampfanzug.

Nach nur etwas über einer Stunde zieht sich die Truppe erschöpft aus ihrem Stahlgewitter zurück. Hart wie „Krupp- oder Riefenstahl“, wie eine Stadtzeitung schrieb? Oder nur ein perfekter Projektionskörper für Verlierer, denen man aus Mitleid gern die Gunst erweisen würde, sie als stumme Tabubrecher durchgehen zu lassen? Nach den Zugaben trotten alle zurück zur S-Bahn. Schluss mit Freigang.