IN DER GENDEBATTE WEICHT DER KANZLER DEM BUNDESPRÄSIDENTEN AUS
: Moderator des Ungefähren

Die Antwort kam prompt. Und war doch keine richtige Antwort: Der Kanzler widerspricht dem Präsidenten, ohne die Herausforderung anzunehmen. Während sich Rau klar gegen Präimplantationsdiagnostik und Experimente mit embryonalen Stammzellen ausspricht, zählt Schröder zum wiederholten Male bloß Aspekte der ethischen Debatte auf: Es gehe eben nicht nur um den Schutz von Embryonen, sondern auch um den „Zugang zur Erwerbsarbeit“. Diese „sozialethische Dimension“ dürfe Rau nicht vergessen. Zum eigentlichen Streit aber bezieht er keine Stellung.

Aus gutem Grund. Um sich als Unterstützer der „Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“ zu profilieren, braucht Schröder sich nicht festzulegen. Es ist viel ungefährlicher, die Bedeutung des Sektors „für unseren Wohlstand“ zu betonen und mit dem Biotechnikboom in Deutschland zu prahlen – auch wenn der dem ehemaligen Forschungsminister Jürgen Rüttgers zu verdanken ist.

Raus Angriff hat den Konflikt auf die symbolisch höchste Ebene verlagert: Präsident gegen Kanzler. Die entzweiten Sozialdemokraten stehen dabei für die gespaltene Gesellschaft. Hier der Christ, der den Eingriff in die Schöpfung unter Kontrolle halten, den Dammbruch verhindern will. Dort der Aufsteiger, der ursozialdemokratisch ein Recht auf Arbeit und Wohlstand betont. Beide stehen für eine wertehungrige Gesellschaft, der aber „Mehr Jobs“ noch stets das Wichtigste war.

Der Konflikt ist nicht ohne Ironie: Während Rau sich eigentlich als Moderator versteht, zwingt ihn sein christliches Gewissen zum Ausbruch aus dieser Rolle – und verschafft ihm erstmals medialen Zuspruch im Amt. Für Schröder aber wird es dadurch noch einfacher, sich – ganz Kanzlerpräsident – in die Rolle des Moderators einzurichten. Gleichzeitig lässt er seinen Ethikrat die Vorbehalte gegen das technisch Mögliche wegdiskutieren.

Wenn alles gut für ihn läuft, wird Schröder den fertigen Ethikbericht zum Anlass nehmen, eine Mehrheit dafür in der Gesellschaft zu entdecken – und sich dahinter zu stellen. Ist die Ablehnung zu groß, kann Schröder das Gegenteil behaupten, und hat dennoch sein Image als Freund von Arbeit und Fortschritt gestärkt. MATTHIAS URBACH