Nicht für „No Angels“: Süßer als Schmelz

■ Raoul Schrott stellt sein neues Buch „Das Geschlecht der Engel“ im Literaturhaus vor

Raoul Schrotts neues, Brevier untertiteltes Buch Das Geschlecht der Engel ist zuvorderst ein haptisches Erlebnis: transparenter Umschlag, aufwendige Farbdrucke und seltene Doppelblattbindung - ein Genuss für jeden Bibliophilen.

In den darin versammelten Briefen, die sich an eine namenlose Geliebte richten, lässt Raoul Schrott vor dem geistigen Auge der Leserschaft unerreichbar schöne Wesen erstehen. Vom syrischen Mönch Dionysos Areopagita, der im fünften Jahrhundert die Engel erstmals in Chöre und Ränge aufteilte, bis zur Sonnenfinsternis, die die Engel dem mittelalterlichen Glauben nach am Himmel veranstalteten, zeichnet Schrott Phasen der Angelologie und der Etymologie der Engel nach: Woher haben die Engel ihre Flügel? – Ethymologisch besteht eine Verwandtschaft zwischen Flügeln und Schamlippen. Was haben Engel (lat. angelus) und Winkel (lat. angulus) gemein? – Die schönen, schmalen Fußgelenke der Angebeteten.

Aufs Ganze gesehen bleibt Raoul Schrotts Überblick allerdings hinter dem erotischen und wissenschaftlichen Niveau der Jahrtausend-Lyrik-Sammlung Die Erfindung der Poesie zurück. Wo er dort fachlich brillant den Ursprung der Poesie erklärt, wirken seinen Mythen und Kosmologien über Engel oft wie laue Abschriften aus dem Lexikon. Selten auch kommt er beim Erzählen in Schwung. Sprachlich wandelt sich der harmlose, schicke romantische Ton kaum.

Den Traum, die Geliebte einmal mit aller Hingabe und Leidenschaft anzuhimmeln, diesen Traum hat sich Raoul Schrott mit Das Geschlecht der Engel jedoch erfüllt: „Würde es dich sehr verlegen machen, wenn ich dir sage, dass du wunderschön bist?“ – Süßer schmelzen kann man nicht.

Doch auch einem Raoul Schrott weist die Vergleichbarkeit von Frau und Engel die Grenzen – trotz aller noch so gewandten Worte bleibt die Geliebte immer unvergleichlich und irdisch.

Dazu passen Arnold Dall'Os Heiligenbilder. Seine Überlagerungen anatomischer Photographien, kosmologischer Zeichnungen und Skizzen zum Oralsex weisen klare Parallelen zu Sigmar Polkes Bildern und seinen Bedeutungsschichtungen auf.

Allen, die noch auf der Suche nach der richtigen Formulierug für ihre Frühlingsgefühle sind, bieten Buch und Lesung daher sicherlich einen ungewöhnlichen und reichhaltigen Schatz.

Christian T. Schön

Schrott/Dall'O: Das Geschlecht der Engel, der Himmel der Heiligen, Hanser Verlag, 46 Mark Lesung Dienstag, 22.5., 20 Uhr, Literaturhaus