Rückendeckung für Hitler

■ Ein Interview mit Robert Gellately, der die Akzeptanz der Judenvernichtung durch die Deutschen erforschte

„Davon haben wir nichts gewusst“, lässt Robert Gellately nicht zu. Der Professor für Holocaust Studien an der Clark-Universität meint, dass die Vernichtung der Juden nicht mit allen Mitteln verheimlicht wurde, sondern das Regime sich dabei vielmehr der breiten Zustimmung der Bevölkerung versicherte. Heute stellt er seine Studie Backing Hitler. Consent und Coercion in Nazi Germany in der Heinrich-Heine-Buchhandlung vor.

taz hamburg: Was hat der gewöhnliche Deutsche während des Nationalsozialismus gewusst?

Robert Gellately: Die Deutschen haben mehr gewusst, als sie zugeben wollten. Allerdings muss eingeräumt werden, dass die einzelnen Entwicklungen für den gewöhnlichen Deutschen nicht gleich sichtbar waren. Stattdessen bestimmten positive Erfahrungen die individuelle Wahrnehmung. Für die Deutschen, die sich ins Schema der NS-Ideologie einfügten, waren von 1933 bis 1944 gute Jahre. Die Inflation und die Instabilität der Weimarer Republik hatte Adolf Hitler aufgehoben; es gab die ersehnten Arbeitsplätze und die erhoffte Ruhe. Durch die Medien erfuhr man aber sogleich viel über die Methoden – die Errichtung der Konzentrationslager und die Verfolgung von Kommunisten, Gewerkschaften und später den Juden.

Zu dieser These kommen Sie nach einer Analyse von Polizeiakten und regionalen und überregionalen Zeitungen. Hans Mommsen kritisiert indes Ihre Methode. Sie hätten keine soziologische Auswertung der Presse gemacht und würden ausblenden, dass es keine freien Medien gab.

Herr Mommsen widerlegt jedoch nicht, dass sich sehr wohl aus den Zeitungen und den Polizeiberichten herauslesen lässt, was öffentlich bekannt war und welche Meinungen vorherrschten. Deshalb betone ich auch, dass nicht alle alles von Auschwitz wissen konnten. Natürlich kenne ich die Grenzen meiner Forschung, so ist es schwer zu sagen, was die Leute beim Lesen von einer Zeitung wahrnehmen. Doch auch dies widerlegt meine These nicht.

Als zentrales Motiv für die Akzeptanz der Judenvernichtung in der Bevölkerung sieht Daniel J. Goldhagen einen eliminatorischen Antisemitismus am Werk, Sie lehnen diese Erklärung ab ...

Ja. Goldhagen meint, alleine der Antisemitismus habe das Denken und Handeln im NS bestimmt. Ich denke, dass vielmehr Ordnungsliebe und existenzielle Bedürfnisse wichtig waren. Die verinnerlichten Werte und tiefsten Wünsche sind entscheidend. Vor allem an diese hat Hitler appelliert. Natürlich waren die Nationalsozialisten antisemitischer als die Bevölkerung, deshalb mussten sie die Juden ja auch erst zu sozialen Außenseitern machen.

Bereits in Ihrer Studie über die Gestapo betonen Sie, dass durch die freiwillige Partizipation Regime und Volk eins werden.

Natürlich gab es auch Terror. Doch dieser traf nicht den Durchschnittsbürger. Den Terror wendete das Regime gegen die „ungeliebten Menschen“ an, die schon vorher „ungeliebt“ waren. Die Menschen vitalisierten die NS-Ideologie. Über zehntausend Denunziationen registrierten die Behörden. Solche Partizipation festigte sich auch dadurch, dass viele von der Vertreibung der Juden profitierten.

Sie betonen, dass mit der Enthumanisierung und „Revolutionierung der Revolution“ durch den Krieg und die Vernichtung der Juden Hitlers Akzeptanz anstieg. Von einer „Atmosphäre des Schreckens“ wollen Sie nicht, wie Mommsen oder Richard J. Evans, sprechen. Stattdessen reden Sie von einer „populistischen Diktatur“.

Es gab eine schrittweise Desensibilisierung. Volk und Führer wurden eins. Nicht aus Angst, sondern weil man dieser Politik zustimmte.

Mit Ihren Thesen hinterfragen Sie Gründungsmythen der Bundesrepublik.

Dass nach 1945 niemand etwas wissen wollte, ist nachvollziehbar. Aber mit dem Versuch der Vergangenheitsaufarbeitung wurden Strukturen und Methoden des NS sichtbar. Die geheime Seite des Nationalsozialismus haben wir jahrelang beleuchtet. Es wird Zeit, das wir nun die öffentliche Seite betrachten.

Interview: Andreas Speit

Lesung heute, 19.30 Uhr, Heinrich Heine-Buchhandlung, Flügelbau West der Universität, Edmund-Siemers-Allee 1

Im Frühjahr 2002 erscheint bei der Deutschen Verlagsanstalt die Übersetzung von Backing Hitler