Das Restrisiko. Oder die Todesstrafe

In der forensischen Psychiatrie sollen Sexualstraftäter das „abweichende Verhalten“ verlernen. Klinikleitung: Freigang für Andreas P. war „fachliche Fehleinschätzung“  ■ Von Elke Spanner

Der rotgeklinkerte Neubau steht am Rande des Geländes. Ansons-ten sind nur stilvolle Altbauten in dem Park, alle in ähnlicher Größe und Form. Das Haus 18 aber ist für besondere Patienten gebaut worden. In der „forensischen Psychiatrie“ im AK Ochsenzoll leben Straftäter, die psychisch krank und statt im Gefängnis hier untergebracht sind. Wie auch Andreas P., verurteilter Vergewaltiger, der seit zehn Jahren in Haus 18 einsitzt und im März und Mai bei Freigängen erneut zwei Frauen vergewaltigte.

Das Personal trägt schwere Schlüsselbunde am Gürtel, wie sie für Gefängnisse typisch sind. Auch hier muss jede Tür einzeln mit dem Schlüssel geöffnet werden und fällt anschließend von alleine wieder ins Schloss. Während Gefängnisse aber ausschließlich funktional gestaltet sind und ihre Nüchternheit düster wirkt, ist die Eingangshalle des Hauses 18 einladend eingerichtet. Fenster zum Park, Pflanzen sowie Bilder an den Wänden. Wer diese Halle betritt, hat schon eine Personalienkontrolle und eine Sicherheitsschleuse durchlaufen wie auch seine Tasche am Eingang abgegeben, aus Sicherheitsgründen.

Die forensische Psychiatrie muss Anforderungen genügen, die zueinander im Widerspruch stehen: Sie muss Patienten gesellschaftsfähig therapieren und sie dafür von der Gesellschaft fernhalten. Einerseits ist die Station deshalb ein Krankenhaus. Der Aufenthalt darf den Patienten nicht nur als Strafe erscheinen, sondern als Chance auf Therapie. Dafür muss die Atmosphäre im Haus so freundlich sein, dass die Patienten sich nicht ihrer Behandlung verweigern. Andererseits haben sie auch eine Strafe abzusitzen und gelten als gefährlich für die Allgemeinheit. Und das heißt, dass sie von Außenkontakt abgeschnitten sind.

127 Betten hält die forensische Psychiatrie bereit, 80 in Haus 18, die übrigen im daneben gelegenen Haus 9, in das auch Frauen eingewiesen werden. 27 der Gefangenen im Männerhaus sind Sexualstraftäter, rund ein Viertel von ihnen Vergewaltiger. Von „Heilung“ spricht Leiter Guntram Knecht nicht, wenn er das Therapieziel für diese Patienten beschreibt: „Das von ihnen ausgehende Risiko soll auf ein Normalmaß abgesenkt werden“, so Knecht. „Wir wollen sie in die Lage versetzen, Risikosituationen bei sich zu erkennen und darauf zu reagieren.“

In den hauseigenen Werkstätten führen die Gefangenen einen Arbeitsalltag, in der Tischlerei, der Fahrradwerkstatt oder der Näherei. Außerdem haben sie Gruppensitzungen, in denen sie soziales Verhalten erlernen und Einzeltherapien, durch die sie ihr „abweichendes Verhalten“ verlernen sollen.

Auch der 33-jährige Andreas P. wurde seit zehn Jahren von PsychologInnen behandelt. Nach mehreren Jahren durfte er zunächst in Begleitung, dann auch alleine für begrenzte Stunden aus dem Haus. Dass er unbeaufsichtigt Ausgang hatte, habe sich nun als „fachliche Fehleinschätzung“ erwiesen, sagt Knecht. Die Patienten müssten aber behutsam an ein Leben in Freiheit herangeführt werden. „Um ein Restrisiko kommen Sie nicht herum, wenn Sie nicht für die Todesstrafe sind.“